Rheinpfalz „Kein Pfälzer hat uns je ,uff die Bäm’ gebracht“

Am Anfang war das Wort. Mein Schwiegervater, Saarländer (!) und Arzt, hatte in seinem Leben schon viel zu viel er- und überlebt, um den üblichen gängigen Vorurteilen gegenüber Nachbarn zu folgen, zum Beispiel diesem wohlbekannten: „Uff die Bäm, die Pälzer kumme!“ Er schätzte die Pfalz, Land und Leute, die Gastronomie. „Ihr solltet auch einmal Urlaub in der Pfalz machen.“ In Annweiler trafen wir uns. Er kam uns von Saarbrücken entgegen, wir kamen wie üblich aus dem Schwarzwald. Das war vor 35 Jahren. Lange blieb der Vorschlag folgenlos, aber unvergessen, und so machten sich Jahre später vier Wanderer auf den Weg von Annweiler zum Weintor. Es war Herbst und auf dem Hock im Weinberg und im Ort war es brechend voll. Einige Touristenwaren es auch schon. An Unterkunft war kaum zu denken, bis Einheimische sich der Sache annahmen. Die Wissings nahmen uns auf. Er war Winzer, und er war’s auch, der uns über Jahre und einem wachsenden Kreis seine Weine nach Bremen lieferte. „Der erste Eindruck ist der beste.“ Das stimmte, bezogen auf unsere erste Pfalz-Erfahrung, und zugleich in jeder Hinsicht, mit einer Ausnahme: Der erste Versuch mit dem Saumagen, diesem Glanzstück urpfälzischer Gastronomie, bekam – wie man weiß – Mitterrand bestens. Mich trieb er während der nächsten beiden Wandertage in Abständen in die Büsche. Später folgten Urlaube mit den Kindern in Darstein und auf Lindelbrunn. Dort war es damals im Haus des Pfälzer Wandervereins noch urig. Und dort fiel Philipp aus einer Schießscharte auf der Ruine, was der Papa erst Jahre später erfuhr. Er und seine Schwester hatten dicht gehalten, Mama auch. Die Klettereien auf Burgen und den Felsformationen aus Sandstein sind bis heute in bester Erinnerung und natürlich die Nachtwanderungen. Wenige Jahre später gingen die Kinder ihre eigenen Wege ... „Menschen sind anstrengend“, lässt Max Frisch seinen Romanhelden Homo Faber leidgeprüft sagen. Recht hat er. Wir konnten berufsbedingt seine Aussage gut nachvollziehen. Wir erholten und erholen uns noch am besten in der Natur, wandernd, besichtigend, und so erschlossen wir uns neue Landschaften. Die hatten allerdings eines gemeinsam: Es waren meist „Partisanengebiete“, also abgelegen, wanderbare, wunderbare Natur- und Kulturlandschaften, irgendwo zwischen Nordsee und Alpen. Die Weinstraße zwischen Annweiler und Schweigen ist wundervoll, jeden Besuch wert, aber für uns zu rummelig: zu viele Touris, jedenfalls im Herbst, wenn wir kommen. Und die Touris sind bekanntermaßen immer die Anderen. Wir entschieden uns also für den Wald westlich der Südlichen Weinstraße, den Wasgau. Der ist weit genug vom Trubel, die Weinstraße nahe genug als Wanderziel. Von Schönau nach Schweigen braucht es über Nothweiler, Bobenthal und Germanshof genau vier Stunden, die Pausen am Löffelkreuz eingerechnet, mit Endpunkt und Belohnung beim Jülg. „Außer unserer Gastfreundschaft vermögen wir nur den Reiz der schönen Landschaft anzubieten.“ So liest man in der Chronik Schönaus von 1975. Bei allem Respekt, aber hier ist der Autor zu bescheiden: Der Ort ist urkundlich nachgewiesen mindestens 889 Jahre alt. Er hat eine wechselhafte und lange Geschichte als Grenzort und lokales Wirtschaftszentrum mit fast 900 Einwohnern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und seinen Namen trägt Schönau ganz zu Recht. Den besten Überblick verschafft man sich vom Pfaffenfelsen oder dem Zundelfelsen. Der Erstgenannte überragt das Dorf im Süden, der andere etwas versteckt nördlich. Der Grundriss Schönaus wird sichtbar: Die eine Straße führt an der Lauter nach Süden, Richtung Hirschthal, und damit an die Grenze, die heute keine mehr darstellt. Nur noch das Zollhaus verweist auf sie, wie andernorts auch noch. Das Forsthaus und die kleine Kirche fallen auf. An deren Standort befand sich wahrscheinlich der Königshof als Ursprung des Weilers. Die andere Straße führt nach Westen Richtung Gebüg. Sie ist gesäumt von Fischteichen. Die wurden wohl schon angelegt von den Mönchen aus St. Walburg, die wesentlich an Gründung und Ausbau des Königshofes beteiligt waren. Freitag war Fischtag, Biber galten als Fische (kein Witz!). Mittelpunkt des Dorfes ist das Gienanth-Haus. Es war das Hauptgebäude des Hüttenwerkes und Wohnsitz des Besitzers, der sich sozial um Schönau und die umliegenden Gemeinden sehr verdient gemacht hat. Es verweist auf die Zeiten, als Schönau Industrie aufwies. Das ergab neben der traditionellen Landwirtschaft – überall kann man noch die Acker-Terrassen um das Dorf herum erkennen – und der Forstwirtschaft eine entscheidende Verbesserung der ökonomischen Verhältnisse Schönaus. Später kam die Schuhindustrie hinzu, selbst eine Brauerei existierte im Wengelsbachtal. Schönau war sogar – man erkennt es noch – am Ende des 19. Jahrhunderts Kurort. „Die idyllische Lage des Dorfes mit seiner herrlichen Landeskulisse führte schon früh Naturliebhaber, Burgenromantiker und Erholungssuchende nach Schönau“, heißt es in der Chronik. Man kam mit der Postkutsche, erging sich im Kurpark Mischler, logierte im Hotel und ruderte und schwamm im Königsweiher. Damals hatte Schönau fast 900 Einwohner. Von all diesen Aktivitäten zeugen noch Spuren, die aber den Ort ökonomisch nicht mehr prägen. Wie stark Schönau im Krieg zerstört wurde, lässt sich im Vergleich mit alten Bildern vor 1940 erkennen – und auch noch an den Einschusstrichtern an den Außenwänden der Hauptkirche. Heute hat Schönau dennoch ein geschlossenes und harmonisches Erscheinungsbild. Es gibt nach wie vor gute Gründe, Schönau und den Wasgau heutzutage zu besuchen: Landschaft, Geschichte, Burgenromantik und eben die Bewohner. Das ist, was wir im Wasgau suchten und seit 20 Jahren finden. Natur, Kultur und noch nie einen Pfälzer, dessentwegen wir „uff die Bäm“ gehen mussten, ganz im Gegenteil: Vor 20 Jahren kamen wir bei den Wolfs unter, in einer der drei Ferienwohnungen. In den Anbauten neben der Schlosserei hatten sie nach dem Krieg gewohnt, bis das Haupthaus wieder erstellt war. Das kann sich sehen lassen, und die Ferienwohnungen desgleichen. Diese werden immer mal wieder optimiert. Alfons war der Patriarch der Familie, ein Pfälzer von altem Schrot und Korn, eine Persönlichkeit und unverwüstlich. Mit 70 schlug er per Vorschlaghammer noch eine neue Öffnung in die Wand für die dritte Ferienwohnung. Wir waren gekommen als Feriengäste, für ihn primär als Gäste. Für die war und ist die Waltraut zuständig, die Frau vom Peter, seinem Sohn. Versuche, etwa für die zubereiteten Forellen oder den Honig etwas zu zahlen, schlugen konsequent fehl: „Das mit der Wohnung ist Waltrauts Sache, das hier ist meine.“ Seine Frau lässt sich den Garten am Haus noch heute nicht aus der Hand nehmen. Nach Alfons’ Tod 1999 übernahm Peter die Rolle des Hausherrn, nicht nur äußerlich seinem Vater ähnlich, ebenso aktiv, im Haus und umzu, auch als Jäger. Ohne seine vierbeinigen Begleiter ist er nicht vorstellbar, derzeit Paula, davor Leni. Als wir kamen, war es Butzi, eine zierliche Dackel-Dame mit ausgeprägtem Hang, beschmust zu werden. Herrchen sah das nicht so ganz gerne, aber wir als Gäste durften das. Eines Tages fegte er uns mit der folgenden Anmerkung fast von den Beinen: „Ja, verschmust ist sie schon, aber bei der Jagd ist sie ein Killer.“ Butzi, ein Killer! Aber was verstehen wir schon von der Jagd? Im Ort gibt es zwei Gaststätten, eine mit Hotellerie, die andere früher auch, als Schönau noch Kurort war, jetzt ein Landgasthof: der Mischler. Das Haus hat eine lange Familien-Tradition und einen so guten Ruf, dass man gut tut, sich anzumelden. Bei uns geht das nach etwa sieben Fahrstunden so: Meine Frau lässt sich von Waltraut Wolf nach Ankunft ins Haus einweisen und beide Damen lassen dabei die Ereignisse des Jahres Revue passieren. Das Ganze in fünf Minuten. Frauen können so was. Ich gehe währenddessen zum Mischler, um uns anzumelden. Spätestens jetzt ist der Plural angebracht: Die Mischlers, denn mit der gleichen Souveränität, mit der er in der Küche werkelt, hat sie das Restaurant in Blick und Griff. Beim Essen sieht man sich dann wieder. Er kommt zur Begrüßung – und weiß, dass wir zufrieden sind. Als Stammgast fühlt man sich auch gastronomisch gleich wieder wohl im temporären Zuhause. Unser Hausherr, Peter Wolf, ist beim Essen auch dabei: Auf der Speisekarte bei der Herkunftsangabe des Wildes. So sind wir alle zusammen, die Wolfs, die Mischlers und wir. Die Leute hier „schaffe“. Und sie kennen den Wert ihrer Arbeit und bleiben fair dabei. Und weil das so ist, ist es wohl auch kein Gerücht, dass Schwaben ihre Autos, wenn mal was dran ist, hier reparieren lassen, beim Schlosser nämlich, unserem dritten hier genannten Pfälzer Urtyp. Als unser Auto Ärger machte, hörten wir von Peter Wolf: „Fahrt mal zum Schlosser nach Bundenthal.“ Damals war noch der alte Schlosser Chef. Der war schlagartig kompetent in seiner Analyse: „Die Rückholfeder hinten rechts ist es, deswegen klemmt das Rad.“ So jedenfalls verstand ich ihn, denn er sprach Kernpfälzisch in Maschinengewehrgeschwindigkeit. Und da wir uns auf Anhieb verstanden, verfiel er erst gar nicht ins Hochdeutsche. Da eine Probefahrt nach Reparaturen zum Programm gehörte, lernte ich die Lage seines Hauses und alles Wissenswerte in und um Bundenthal kennen. Der Junior übernahm vor einigen Jahren das Geschäft, überzieht mit der Automarke, die er vertreibt, den Wasgau, und wo lasse ich als Bremer meinen TÜV machen? Genau! Das kam so: Wir hatten uns fernmündlich auf einen Termin geeinigt. Das allerdings, ohne zu bemerken, dass da „Allerseelen“ war. Vor Ort war das kein Problem. Der Junior: „Den Wagen kenn ich, den Prüfer auch. Der kommt außerplanmäßig vorbei.“ Am Wagen war für den Prüfer nichts zu beanstanden: Plakette. Unser Wandergebiet reicht nach 20 Jahren vom Trifels bis Weißenburg und nach Westen bis Eppenbrunn. Jedes Mal sind die Wege anders, auch wenn die Strecken meist die bekannten sind. Einige Standardstrecken haben Variationen erfahren, eine machen wir immer: Am ersten Tag geht es über Hirschthal, den Fleckenstein und den Gimbelhof nach Nothweiler: Flammkuchen fassen im früheren Dorfgasthof, heute eher eine Hotelanlage, beim Kraft. Der von uns bevorzugte hat einen so hohen Anteil an Knoblauch, dass auf dem Wege nach Schönau – auf der alten Transporttrasse für Eisenerz – alle Vöglein im Walde schweigen und alle Wutze Reißaus nehmen. Das gehört bei uns zum Ritual wie der Besuch vom Weißensteiner Hof („Ach, da seid ihr ja wieder“, so die jährliche Begrüßung) und Lindelbrunn. Eine eiserne Regel gilt bei uns: Alles unter drei Stunden Gehzeit läuft unter „Spaziergang“, alles über sechs Stunden „Langwanderung“. Die macht der Verfasser dann allein, die Sieben-Burgen-Wanderung etwa. Dass die Walthari-Hütte wieder bewirtschaftet wird, erfüllt uns ebenso mit Freude wie die vielen Wandergruppen unterwegs. Mit einem Winzer begann der Bericht, mit einem Winzer soll er enden. Den Hof der Becks in Schweigen-Rechtenbach steuern wir bei der Herfahrt zuerst an, noch vor Schönau. Dort decken wir uns ein mit neuem süßen Wein und Käschde und Nüssen und Obst und fahren in unseren so sehr geschätzten Wald, nach Schönau. Auf der Rückfahrt trägt der Wagen schwer am Wein vom Beck und Jülg, am Wild vom Wolf, an den Konserven mit Brät vom Weißensteiner Hof und an fleischernen Köstlichkeiten vom fröhlichen Metzger aus Bundenthal. Und das Beste von dem sind die köstlichen Scheiben des Saumagens, mit Käschde! Zuhause angekommen in Bremen, laden wir dann Gäste ein und erzählen ihnen: von der Pfalz, dem Wasgau, Schönau und den Wolfs und all die annern ... PS: Bei allem notwendigen Wandel braucht es Unveränderlichkeit, Substanz, die bleibt, weil sie echt ist, sich nicht verfälschen lässt. Wir fanden und finden sie in der Pfalz.

x