Rheinpfalz Hallo, Echo!

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Twitter-App auf dem Bildschirm eines Smartphones.

Politiker präsentieren sich gerne auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Doch wenn es drauf ankomme – zum Beispiel nach Strafprozessen gegen Migranten – dann schweigen die meisten von ihnen. Das kritisieren zumindest zwei Landauer Medienforscher. Sie sagen: Die politische Debatte im Netz werde so den Rechtspopulisten überlassen.

Politiker müssen mehr tun als gar nichts, wenn die politische Kultur im Netz zu wichtigen Rechtsstaatsentscheidungen nicht den Rechtspopulisten überlassen werden soll.“ Diese These vertreten die Landauer Medienwissenschaftler Wolfgang und Mathias König. Sie fordern damit mehr politisches Engagement der etablierten Parteien im Internet, speziell nach Urteilsverkündungen in Prozessen, bei denen Migranten im Fokus der Justiz stehen. König und König analysieren regelmäßig den Nachrichtenverkehr auf dem Kurznachrichtendienst „Twitter“ und legen dabei besonderes Augenmerk auf die Aktivitäten von Politikern und Medienschaffenden. Dabei haben die beiden Forscher festgestellt, dass die Debatten auf Twitter rund um Straftaten von Migranten regelmäßig von Rechtspopulisten dominiert werden beziehungsweise von Politikern und Politikerinnen der AfD. Dies sei zum Beispiel im September 2018 so gewesen, als ein Asylbewerber zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, der im Dezember 2017 in Kandel ein 15-jähriges Mädchen getötet hatte. Der Fall hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt und eine Serie an Demonstrationen in Kandel und anderen Orten der Südpfalz ausgelöst – sowie teils hasserfüllte Debatten im Internet. „Der Kampf um die Deutungshoheit über das Thema Kandel wurde am Tag der Urteilsverkündung der AfD überlassen“, sagt Wolfgang König. So habe zum Beispiel die Spitze der SPD in Rheinland-Pfalz und im Bund an diesem Tag auf Twitter zum Thema geschwiegen – während prominente Vertreter der Partei bei Demonstrationen in Kandel, die sich gegen Hass und Rechtspopulismus richteten, stets präsent waren.

#Susanna: Nur Medien und AfD-Politiker aktiv

Aktueller Hintergrund der Forderung der beiden Medienwissenschaftler ist deren Auswertung des Nachrichtenverkehrs auf „Twitter“ vom Mittwoch dieser Woche. An dem Tag wurde in Wiesbaden das Urteil gegen den 22-jährigen Asylbewerber Ali B. gesprochen, der im Mai 2018 die 14-jährige Schülerin Susanna vergewaltigt und ermordet hatte. Das Landgericht Wiesbaden verurteilte den Mann zu lebenslanger Haft und stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Am Tag des Urteils twitterten den beiden Landauer Forschern zufolge 1392 Nutzer mit 1907 Tweets zum Hashtag #Susanna. Mathias König: „Bemerkenswert ist, dass bei den verifizierten Nutzern im Grunde nur Medien und AfD-Politiker aktiv mittwittern.“ Verifizierte Nutzer (mit blauem Haken am Namen) sind in der Regel prominente Personen mit einer hohen Anzahl an Followern. Tweets aus dem nicht rechtpopulistischen politischen Spektrum fehlten am Mittwoch bei #Susanna, so König und König – so, wie das auch beim Urteil zum Fall #Kandel im September 2018 der Fall gewesen sei. Dadurch entstehe auf Twitter „eine Echokammer, in der die demokratische Öffentlichkeit im Netz völlig den rechtspopulistischen Promis überlassen wird“, sagt Mathias König. Es überrasche daher nicht, dass am vergangenen Mittwoch Alice Weidel, Co-Vorsitzende der AfD im Bundestag, bei der Anzahl der Retweets, also der Weiterleitungen ihrer Nachrichten, am besten abschneidet. Weidel (sie hat knapp 73.000 Follower auf Twitter) hatte getextet: „Junge Mädchen und Frauen bezahlen den Preis für die völlig verfehlte Politik der Bundesregierung“ (491 Retweets am Mittwoch).

Dem Shitstorm aus dem Weg gehen

Zwar gebe es auch „gemäßigte Tweets“, wie die beiden Medienwissenschaftler festgestellt haben, diese „fallen aber kaum auf, da diese Twitter-Nutzer nicht verifiziert sind und in Twitter kaum Reichweite haben.“ Dass sich bei #susanna prominente Politiker der etablierten Parteien aus Hessen (dem Gerichtsstandort) und Rheinland-Pfalz (Susanna kam aus Mainz) sowie Bundespolitiker (der Fall ging bundesweit durch die Medien) am Tag des Urteils auf Twitter komplett rausgehalten haben, liege vermutlich daran, dass sie nicht mit einem „Shitstorm“ – einer Hasswelle im Netz – konfrontiert werden wollen. Dabei seien doch genau dann der Nachrichtenwert und damit die Wirkung am größten. Mathias König sieht einen weiteren denkbaren Grund darin, dass der Fall Susanna politisch spaltend wirke und Politiker der etablierten Parteien möglicherweise davon ausgehen, dass bei diesem Thema im Netz nur Rechtspopulisten etwas zu gewinnen hätten. Die Frage, ob es vor diesem Hintergrund überhaupt sinnvoll ist, wenn die Vertreter etablierter Parteien Schnellschüsse auf Twitter starten, anstatt ein rechtsstaatliches Urteil einfach im Raum stehen zu lassen, beantworten die beiden Medienwissenschaftler mit einem klaren „Ja“. Wolfgang König: „Twitter ist ein Nachrichtendienst, der auf Schnelligkeit basiert und deshalb optimal ist, um die politische Deutungshoheit im Mediensystem für sich zu entscheiden.“ Von einem bestimmten Teil des politischen Spektrums – dem massiv migrations- und flüchtlingskritischen – werde diese Chance gezielt genutzt. Für die „demokratische Öffentlichkeit“ sei das aber„nicht optimal“. Es sei vergleichbar mit der Situation, wenn in Landau bei einer Demo des rechtspopulistischen „Frauenbündnisses Kandel“ keine Spitzenpolitiker bei der Gegendemo aktiv wären. Aber auch im Netz fange Zivilcourage nun einmal oben an, sagt Wolfgang König. Grundfragen allerdings bleiben. Müssen Politiker in einer Demokratie wirklich in der Öffentlichkeit die Entscheidungen ordentlicher Gerichte kommentieren oder kritisieren? Verstießen die Mitglieder der etablierten Parteien damit nicht gegen die Gepflogenheiten der demokratischen Kultur – auf die Weise, die den Rechtspopulisten angelastet wird? Die RHEINPFALZ am SONNTAG hat die prominentesten und erfolgreichsten Twitterer unter den Politikern in Rheinland-Pfalz über Twitter um eine Stellungnahme zu den Thesen der Landauer Forscher gebeten. Alexander Schweitzer, SPD-Fraktionschef im Land mit knapp 5400 Followern, teilte mit, er werde dazu keinen Kommentar abgeben. Die CDU-Landesvorsitzende und Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (knapp 61.000 Follower) hat nicht auf unsere Anfrage reagiert.

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