Kultur Südpfalz Gesichtslos durchs Land

Am Badischen Staatstheater versuchen Regisseur Jan-Christoph Gockel und Dramaturg Konstantin Küspert im Stück „Rechtsmaterial“, mit einem Blick in die Vergangenheit die Gegenwart des rechtsnationalen Mördertrios Zschäpe, Mundlos, Böhnhardt zu erhellen. Die Karlsruher Theatermacher haben sich damit nach Frankfurt und München und vor Köln ebenfalls mit dem Thema der Saison beschäftigt – mit zwiespältigem Ergebnis.

Der nationalsozialistische Untergrund (NSU) reiste gesichtslos durch Deutschland und ermordete zehn Menschen, deren Stammbäume nicht unbedingt in Thüringen wurzelten. Unterwegs war ein mordlustiges Kleeblatt, von dem man bis heute kaum etwas weiß. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt richteten sich selbst. Beate Zschäpe sitzt derzeit in München vor Gericht und gibt Rätsel auf. Während die Justiz also in einem beispiellosen Prozess Fakten und Beweise häuft, nähern Theaterhäuser sich auf ihre Art dem Phänomen und ringen um Bilder und Möglichkeiten der Darstellung. Wie gründlich das schief das gehen kann, sah man am Frankfurter Schauspiel, wo die Geschichte des Trios mittels einer fiktiven Kolportage nacherzählt werden sollte (wir berichteten am 10. Februar). Am Münchner Residenztheater stellte das dokumentarische „Urteile“ der Theatermacherin Christine Umpfenbach und ihrer Koautorin Azar Mortazawi die Münchner Opfer und deren Angehörige in den Mittelpunkt. Das Ergebnis, so die Berliner „Taz“, sei „kein Abend der Analyse, sondern einer der eindringlichen Emotionen“. Und während man noch gespannt darauf wartete, wie der auch als Filmregisseur bekannte Nuran David Calis sich Anfang Juni am Schauspiel Köln den dortigen Opfern und Angehörigen der Mordserie nähern wird, überraschte das Karlsruher Staatstheater mit einem ganz eigenen Abend der Recherchefülle. „Rechtsmaterial“ ist das Werk des Regisseurs Jan-Christoph Gockel und des Dramaturgen Konstantin Küspert. Sie verknüpfen in einem mehr als zweistündigen Abend so viel miteinander, dass es einem schwindelig werden kann. Die Beiden haben lange recherchiert und sind unter anderem mit allen Schauspielern zum Zschäpe-Prozess nach München gefahren. Vor allem aber greifen sie mit einem echten Fundstück weit in den historischen Kontext des heutigen Neonazitums zurück. Die Rede ist vom Theatertext „Schlageter“ des Nazi-Autors Hanns Johst, uraufgeführt zu Hitlers Geburtstag 1933. Darin leidet ein Student aus dem Schwarzwald heftig unter der „Schande“ des Ersten Weltkriegs. Diesen Albert Leo Schlageter gab es tatsächlich. Er war im Verbund mit einem Freund und einer Freundin unterwegs, und er verübte Anschläge gegen die französische Besatzungsmacht. Die Parallelen zur NSU sind so frappierend, dass die Karlsruher das Propagandastück nachspielen. Gockel und Küspert verwenden dieses historische „Material“ aber nicht als Kommentar auf die heutigen Ereignisse, sie stellen es ins Zentrum und garnieren den Johst-Text mit Ergebnissen ihrer mehr als einjährigen Recherche. Das hat zur Folge, dass das aktuelle Material in der historischen Parallelhandlung unterzugehen droht. Misslich ist das vor allem, weil es auch in der Gegenwart so frappierende Fundstücke wie eine „Schlageter“-Aufführung durch eine Schüler-AG 1977 in Uelzen gibt. Die Schüler und der inszenierende Lehrer taten das in aufklärerischer Absicht, mussten aber damit leben, dass Neonazis die Bühne stürmten und der rechte Rechtsanwalt Manfred Roeder die Bühne als Propagandafläche nutzte. Noch erstaunlicher ist eine Videoaufnahme aus dem Jahr 1991. In Jena wird ein Jugendclub eröffnet, man interviewt die Jugendlichen und mittendrin ist die junge Beate Zschäpe, heiter in die Kamera lächelnd und auch schon da eher wortkarg. Aus heutiger Sicht sind das gespenstisch anmutende Bilder und man fragt sich, ob solches Material nicht eine Inspirationsquelle für Spielszenen hätte sein können, in denen dieser Frau nachgespürt wird. Genau das war aber nicht beabsichtigt. Stattdessen ist da der „Schlageter“- Text und Matthias Lamp als vom Zweifel angefressener, rechtsnationaler Intellektueller, während Thomas Halle ein begriffsstutziger Kumpel und Sophia Löffler eine lebenslustige junge Dame der Weimarer Republik ist. Dagegen wäre nichts einzuwenden, hätte es auf der anderen Seite nur etwas mehr Theatermut in Richtung Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gegeben.

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