Kultur Südpfalz Erhaben und empfindsam

Das Bachfest Leipzig und die Händel-Festspiele in Halle finden seit 2007 zeitlich in Folge mit einem sich überschneidenden Wochenende statt. Und sie machen gemeinsam Werbung. Es gibt aber auch inhaltlich Verbindungen. Erst recht in diesem Jahr, wo der 300. Geburtstag des zweiältesten Bachsohns Carl Philipp Emanuel, des Meisters der musikalischen Empfindsamkeit, beim Bachfest besonders gefeiert wurde.

„Die wahre Art“ hieß denn auch das Motto nach dem Titel von Philipp Emanuels Lehrwerk „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“. Ein breiter Querschnitt durch das Schaffen des in Weimar geborenen und später vor allem in Berlin und Hamburg tätigen Musikers wurde in den zehn Tagen in Leipzig geboten. Schon im Eröffnungskonzert gab es einen ersten Bezug zu Händel. Es erklangen neben dem Magnificat des Vaters Johann Sebastian das von Philipp Emanuel und dessen Motette Heilig. Jenes Werk verrät natürlich die vom Vater erlernte Kunst des mehrstimmigen Satzes, aber ebenso den Sinn für jenen erhabenen Stil, den die Zeitgenossen und Nachfahren an Händels großen Vokalwerken rühmten. Und ohne die ist das Heilig nicht denkbar. Carl Philipp Emanuel Bach führte es nicht umsonst 1786 in einem Benefizkonzert in Hamburg mit dem Credo der h-moll-Messe seines Vaters, seinem eigenen Magnifikat – und mit Teilen aus Händels „Messias“ auf. Also ein „Best of“ der christlichen Musik des 18. Jahrhunderts. Ersten Ranges waren die Wiedergaben der beiden Magnificats und des Heilig im Eröffnungskonzert in der Thomaskirche, bei dem Sir John Eliot Gardiner nicht dirigierte, sondern als Präsident des Bach-Archivs einen ebenso fachlich überlegenen wie stilvoll Vortrag über Philipp Emanuel hielt. Die Thomaner in bestechender Form sangen unter der Leitung von Gotthold Schwarz, der den erkrankten Thomaskantor Biller hervorragend vertrat. Schwarz, der vor allem als Bass-Solist bekannt ist, war übrigens vor drei Jahren in der Landauer Stiftskirche ein exzellenter Sänger in der Gesamtaufführung des Weihnachtsoratoriums von Bach gewesen. Schon am ersten Abend trat das kanadische Originalklangensemble Tafelmusik in Aktion, das „Orchestra in residence“ dieses Jahres. Letztmalig angeführt von Konzertmeisterin Jeanne Lamon, zeigt es einen wunderbar biegsamen Ton und eine bestechende spieltechnische Virtuosität. Längst legendär sind ja die kongenialen Händel-CDs des Ensembles. Als Händel-Orchester trat das Tafelmusik Baroque Orchestra dann auch live in Erscheinung bei der Aufführung der Brockes-Passion von Händel in der Fassung der Abschrift von Bach, der das Werk wohl sehr geschätzt haben muss und seinerzeit in Leipzig auch aufführte. Am Pult stand der englische Dirigent Paul Goodwin, der im Dezember einen eindrucksvollen „Messiah“ im Festspielhaus Baden-Baden dirigiert hatte und im kommenden Februar und März bei den Karlsruher Händel-Festspielen die „Riccardo primo“-Wiederaufnahme sowie das Galakonzert mit Vesselina Kasarova leiten wird. Es sang die Züricher Sing-Akademie in der Einstudierung von Tim Brown. Jener Tim Brown war bei den Festspielen in Karlsruhe vielfach mit seinem Clare College Choir Cambridge zu Gast, als Chorleiter oder Dirigent. Er sorgte dabei für unvergessene Glanzlichter in der Festspielgeschichte. Kein Wunder, dass jetzt auch in der Leipziger Nicolaikirche der Chor in vorzüglicher Verfassung war. Bei den Solisten gingen nachhaltige Eindrücke von dem Tenor Christoph Genz – er war mit Rilling schon in der Landauer Festhalle –, der Sopranistin Christina Landshamer – sie sang schon mehrfach im Festspielhaus Baden-Baden – und dem Countertenor Yosemeh Adjei – er war im März im „Rinaldo“ in Karlsruhe einer der Solisten – aus. Paul Goodwin bot dank flüssiger Zeitmaße und sprechender Phrasierung eine sehr lebendige und im Ausdruck nachdrückliche Wiedergabe des Passionsoratoriums auf den vielfach in Musik gesetzten Text des Hamburger Ratsherrn Barthold Heinrich Brockes. Das Bachfest bietet – so war es 2014 einmal mehr – ein überaus reichhaltiges Programm, das auch viele Angebote für Kinder und Jugendliche einschließt sowie Crossover-Programme teilweise auch Open Air zum Nulltarif. Reizvoll sind zudem auch die Orgelfahrten in das Umland, erbauend die geistlichen Angebote wie Motetten oder Gottesdienste. Kein Wunder, dass das Bachfest mehr als 65.000 Besucher zählte (mehr als die Wagner-Festspiele Bayreuth). In einem Nachtkonzert gab es in der kerzenbeleuchteten Thomaskirche ein Solokonzert mit der Geigerin Midori Seiler, die mit dem Ensemble 1700 und barocker Musik schon in der Landauer Festhalle musizierte. Auf ihrer Barockgeige gab sie den berühmten Partiten in d-moll und E-Dur viel Spannkraft und klare Konturen. Ton Koopman, einer der großen Bach-Interpreten der Jetztzeit, oblag in diesem Jahr die Aufgabe, zum Bachfest-Abschluss die h-moll-Messe zu dirigieren – mit seinem Amsterdam Baroque Orchestra and Choir. Der Bassist war Klaus Mertens, der vor kurzem in Herxheim aufgetreten war und im Dom zu Speyer regelmäßig Gast ist. Am 26. September wird Mertens in der Landauer Marienkirche in Mendelssohns „Elias“ mit den Domchören singen. Koopman hatte 2009 ein großartiges Konzert in der Landauer Festhalle gegeben. (rg)

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