Kultur Südpfalz Ein Werk von Vater und Sohn

Unter der umsichtigen Leitung von Christian-Markus Raiser wurde anlässlich des 300. Geburtstages von Carl Philipp Emanuel Bach dessen Matthäus-Passion von 1769 erstmals in der Fächerstadt aufgeführt. Getragen wurde die Aufführung von einer beachtenswerten Chor- und Orchesterleistung und überzeugenden Solisten.

Erst durch einen Sensationsfund 1999 in Kiew wurde diese Karlsruher Erstaufführung letztlich ermöglicht. Dorthin war das Archiv der Singakademie Berlin, in dem sich die Partituren der 21 Hamburger Passionen Bachs befunden hatten, nach deren kriegsbedingter Evakuierung und der Erbeutung durch Soldaten der Roten Armee gelangt. Nach der Rückgabe der Notenbibliothek 2002 durch die Ukraine setzte die wissenschaftliche Erforschung und Beschäftigung nicht nur mit den Passionen ein. Carl Philipp Emanuel Bachs Passionen sind allesamt Pasticci (nach dem italienischen Wort für Pastete), also aus fremden und eigenen Teilen zusammengestellt. Im 18. Jahrhundert war dies ein durchaus legitimes Verfahren. Bei den Karlsruher Händel-Festspielen beispielsweise waren schon mehrere Opern-Pasticci zu erleben. Für die Matthäus-Passion von 1769 griff Bach auch auf die seines Vaters Johann Sebastian zurück, bei deren Leipziger Uraufführung der 13-jährige Carl Philipp Emanuel mitgewirkt hatte. Im Gegensatz zu der von Johann Sebastian ist die Hamburger Matthäus-Passion seines Sohnes deutlich kürzer, der Passionsbericht beginnt später und endet unmittelbar nach dem Kreuztod. Übernommen wurden die meisten Turba-Chöre, also die dem Volk zugeordneten Chöre, teilweise auch die Rezitative, obwohl Carl Philipp Emanuel die Worte Christi in einem trockeneren Stil behandelt als sein Vater, sowie die vierstimmigen Choräle. Die Arien hingegen sind von Philipp Emanuel im Stil seiner Zeit mit einer reichen Orchesterfarbpalette zwischen schroffer Attacke und schmeichelnder Lieblichkeit neu komponiert worden. Diese zwischen Empfindsamkeit und Sturm und Drang angesiedelten Passagen, zumeist von Bläserfarben bestimmt, unterstreichen den Rang Carl Philipp Emanuels und zeigen die Modernität seiner Tonsprache. Dass diese Schilderung der Leidensgeschichte Christi als letztlich einheitliches Werk erklang, war das Verdienst von Kirchenmusikdirektor Christian-Markus Raiser, der den sehr ausgewogenen und klangschön singenden CoroPiccolo Karlsruhe und die ebenso engagiert wie flexibel agierende Camerata 2000 mit Umsicht und klanglicher Differenzierung leitete. Zudem hatte Raiser ein beachtenswertes Solistenensemble engagiert, das der Verinnerlichung ebenso wie der expressiven Anforderung der Partitur gerecht wurde. Bernhard Gärtner konnte als Evangelist seine große stilistische Sicherheit einbringen, den Jesus sang Armin Kolarczyk vom Badischen Staatstheater mit profundem Bass und emotionaler Dringlichkeit, Thomas Seidel gestaltete mit höhensicherem, in der Tiefe noch etwas unausgewogenem Tenor die Arien mit beeindruckend weitem emotionalem Radius. Ebenso differenziert und emotional packend sang der Bass Manos Kia seine Arien. Mit pastosem Alt agierte Regina Grönegreß, Cornelia Samuelis′ schlank-geschmeidiger Sopran ließ keine Wünsche offen. Die zahlreichen Besucher erlebten am Karfreitag eine Aufführung, die sowohl durch die überzeugenden musikalischen Leistungen als auch der Seltenheit einer Aufführung dieses Werkes von Carl Philipp Emanuel geprägt war. (gt)

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