Rheinpfalz Die Diagnose und der Traum

„Ich will irgendwann wieder Handball spielen“. Das ist Thomas Zellmers Traum. Um den Handball herum war bis zum 31. Mai 2013 das Leben des Spielers vom SV 64 Zweibrücken aufgebaut. An diesem Tag wurde sein Leben und das seiner Familie auf den Kopf gestellt. Denn da wurde bei Thomas Zellmer Multiple Sklerose, kurz MS genannt, diagnostiziert.

„Den Tag werde ich nie vergessen“, sagt Zellmer. „Er hat unser Leben komplett verändert“, bestätigt Ehefrau Nadine. Der Oberliga-Handballer des SV 64 hatte 20 Tage zuvor noch Dritte Liga gespielt. Zellmers Wurf an den Innenpfosten in Teningen war die letzte Aktion des SV in der Dritten Liga – und sein vorerst letztes Handballspiel. Müde sei er gewesen, erinnert er sich – in der gesamten Saison. Es waren vermutlich erste Anzeichen der Krankheit. Bald darauf bereiteten die Augen Probleme, er dachte an eine neue Brille. Es kribbelte ständig in den Füßen, in den Beinen fehlte dem heute 27-Jährigen die Kraft. Das Kribbeln breitete sich im Körper aus.

Er glaubte an eine Verletzung, ließ sich in Neunkirchen untersuchen. Orthopädisch war alles in Ordnung. Aber der Arzt, der ihn untersuchte, hatte den Verdacht, „dass es etwas Neurologisches sein könnte“. Ein Neurologe machte bald darauf ein paar Tests und schickte ihn umgehend ins Krankenhaus. Zellmer ging es schlecht, das Gefühl in den Beinen war fast vollständig weg. Ein MRT vom Gehirn, eine Lumbalpunktion, um das Nervenwasser untersuchen zu können, wurden umgehend vorgenommen. Noch an diesem Freitag, 31. Mai 2013, wurde Zellmer mit der MS-Diagnose konfrontiert. Es gab viele entzündete Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark. „Es war Glück im Unglück, dass ich während eines Schubes untersucht wurde. Das vereinfachte die Diagnose“, erzählt er.

Ehefrau Nadine war derweil in Köln, schaute sich das Handball-Champions-League-Finale an. „Das kann nicht sein. Das lässt sich doch nicht so schnell diagnostizieren. Das muss ein Irrtum sein, da hat er was falsch verstanden“, glaubte sie damals. In der folgenden Woche wurde die Diagnose bestätigt. „Ich habe das zunächst gar nicht richtig begriffen“, bekennt Thomas Zellmer. Es ging ihm schlecht – Müdigkeit, depressive Phasen, Schmerzen, Kribbeln. „Wir haben oft geweint“, bekennen beide.

Die Krankheit hat sie noch näher zusammengebracht. „Meine Frau, meine Familie, Freunde, sie waren und sind für mich da“, sagt Thomas Zellmer. Teamkollege Torben Rixecker, der in der Homburger Klinik arbeitete, schaute täglich vorbei. Bruder Benni nahm sich viel Zeit, ging mit ihm schwimmen. „Das hat mich abgelenkt“, sagt Zellmer. „Ich war immer ein unruhiger Typ, immer in Bewegung. Ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass es mir fehlen würde, wenn ich nicht laufen gehen kann“, erinnert er sich. Die Medikamente, Cortison in hohen Dosen, schlugen an. Er begann zu joggen, über die Wiedereingliederung wollte er zurück in den Berufsalltag, schaute im Handballtraining vorbei, ging davon aus, dass es so werden würde wie früher.

Im September 2013 dann der Rückschlag: der nächste Schub. Dazu gesellte sich im weiteren Verlauf eine Medikamentenunverträglichkeit. Mittlerweile lernt Zellmer, die Krankheit und Schmerzen als Teil des Lebens zu akzeptieren. Ein Leben ohne Schmerzen, „ich weiß im Moment gar nicht mehr, wie das war“, gibt er Einblicke in den Alltag. Mit Hündin Anni spazieren gehen, das funktioniert.

Große Menschenmengen bereiten ihm Probleme. Er hat andere MS-Erkrankte kennengelernt, Gespräche helfen. Selbsthilfegruppe? „Ich will nicht hören, was kommen könnte“, sagt er. Er sei ein positiver Mensch. Er weiß, dass es ihm einen Tag gut, am nächsten Tag schlecht gehen kann.

Im Januar war er im MS-Therapiezentrum in Heidelberg, bekam eine neue Therapie verordnet: täglich Tabletten statt Infusionen. Das verträgt er besser. Rehatraining soll folgen. Er möchte wieder arbeiten gehen, ist dankbar, dass ihn sein Arbeitgeber, die Heinrich-Kimmle-Stiftung in Pirmasens, stark unterstützt.

Dass er von Beginn an mit offenen Karten gespielt, die Krankheit nicht verheimlicht hat, „das war wichtig und richtig“, sind sich die Zellmers einig. Seine Ernährung sollte er etwas umstellen. „Bis auf den Fisch, von dem ich mehr essen soll, kein Problem“, sagt Zellmer lachend. Freude am Leben, trotz Krankheit, ist wichtig. Von Kindesbeinen an war er Mitglied einer Handballmannschaft. Er gesteht: „Mir fehlt dieses Zusammensein mit Teamkollegen und Teil einer Mannschaft zu sein.“

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