Rheinpfalz Die Angst fährt mit

Kaum lässt sich die Sonne blicken, wird der Pfälzerwald mit seinen kurvenreichen Straßen zum Mekka für Motorradfahrer. Nicht jeder Biker hält sich jedoch an geltende Tempolimits – steigende Unfallzahlen sind die Folge. Und während die einen ihrer Lust an der hohen Geschwindigkeit frönen, treiben die verhinderten Rennfahrer anderen den Angstschweiß auf die Stirn.

Der Parkplatz am Stall an einem sonnigen Sonntag. Tief unten im Tal ein dumpfes Grollen. Rasch wird es lauter, steigert sich zum nervtötenden Röhren. Dann kommt die Lärmquelle in Sicht: Mit einem Affenzahn heizt da einer auf seinem heißen Ofen die B 48 von Hochspeyer herauf, hebt an der Einmündung der L 504 fast ab – dicht gefolgt von zwei nicht minder rasanten Kameraden, die sich nicht abhängen lassen wollen. Mit „Speed“ geht es weiter Richtung Johanniskreuz. Vorbei am Stüterhof. Wer in dieser idyllischen Siedlung mitten im Pfälzerwald wohnt, muss im Sommer auch mit den Motorradfahrern leben. Die rauschen mehr oder weniger schnell vorbei. Tempo 100 ist erlaubt, nur ein Schild weist auf die Einmündung hin. „Wenn wir vom Stüterhof auf die B 48 einbiegen, gibt es immer wieder Beinahe-Unfälle“, sagt Hubertus Gramowski. Der frühere Förster berichtet von Schreckmomenten, die er ebenso wie seine etwa 40 Nachbarn schon öfter durchlebt habe. „Bei Einkaufsfahrten haben wir dauernd solche Erlebnisse mit Idioten.“ Auch Ernst Jung kennt das Problem – in verschärfter Form. Der 62-Jährige ist Landwirt, verkauft Heu an Pferdehalter und bewirtschaftet auch Flächen bei Waldleiningen. „Mit meinem Traktor und den über drei Meter breiten Geräten muss ich vom Stüterhof aus sechs bis sieben Kilometer weit fahren – auch über die B 48.“ Jung versucht, an Wochenenden auf diese Touren zu verzichten. Doch das geht nicht immer. „Wenn einem dann Biker in der Kurve auf der Mittellinie entgegenkommen, wird’s brenzlig. Das ist teilweise schon kriminell, was da abgeht“, schimpft er. Passiert sei zwar noch nichts, „aber Beinahe-Unfälle kenne auch ich“, sagt er und berichtet von einer Nachbarin, die nicht so viel Glück hatte: „Ihr ist auf der Heimfahrt von ihrer Arbeitsstätte im Wohnstift Trippstadt ein Motorrad aufs Auto geknallt.“ Solch ein schlimmes Erlebnis – sogar mit fatalem Ausgang – musste 2008 Otto Kindelberger aus Mölschbach verkraften. In der Tempo-40-Kurve kurz vorm Stüterhof prallte eine Motorradfahrerin frontal auf seinen Wagen. „Ich bin noch ausgewichen, doch es hat nichts mehr genutzt.“ Die Frau stirbt an der Unfallstelle – und Kindelberger hat, obschon schuldlos, lange Zeit an diesem Drama zu knabbern. „So was steckt man nicht grad so weg“, sagt er. „Bei uns auf der Wiese landet im Sommer an ganz vielen Wochenenden der Rettungshubschrauber“, berichtet Gramowski. Samstags und sonntags „hört man hier die Maschinen röhren. Und nicht selten die Sirenen der Rettungsdienste heulen.“ Wie ist diese Lärmkulisse mit der Idee eines sanften Tourismus im Biosphärenreservat und Mountainbikepark Pfälzerwald vereinbar?, fragt sich der frühere Forstmann und erinnert an die vielen Wanderer, Radfahrer und Spaziergänger, die die Natur ebenfalls genießen wollen. „Ich kenne viele Leute, die die Region am Wochenende meiden, weil sie Angst haben, dass ihnen bei der Fahrt auf der B 48 etwas passiert“, ergänzt Otto Kindelberger. Gramowski geht einen Schritt weiter, spricht von „Fehlern im Konzept“: An der B 48 seien Sicherheitsmaßnahmen installiert worden. Erdwälle, doppelte Leitplanken oder solche mit Unterfahrschutz sollen bei einem Sturz die Folgen für die Motorradfahrer mildern. „Damit wurde jedoch eine Pseudosicherheit geschaffen: Die Strecke wird noch rasanter befahren. So macht man die B 48 immer schneller – für ein paar Idioten.“ Auch Kindelberger will die Motorradfahrergemeinde mitnichten in Bausch und Bogen verdammen: „Es sind vielleicht zehn, 20 Prozent, die Rennen fahren. Der Rest fährt normal, und gegen die hat auch keiner was.“ Um Motorradfahren zu genießen, muss man nicht rasen, ist Gramowski überzeugt und wünscht sich ein Umdenken: „Statt die Strecke weiter sicherheitstechnisch aufzurüsten, müssten mehr Kontrollen, mehr Tempolimits her.“ „Wir sind bei weitem davon entfernt, aus der B 48 eine Rennstrecke zu machen“, weist Richard Lutz, Chef des Landesbetriebs Mobilität (LBM) Kaiserslautern, die Kritik zurück. „Da gibt es keine Wechselwirkung zwischen Ausbau und vermehrtem Rasen“, ist er überzeugt. Der LBM sei aber in der Pflicht, Gefahrenbereiche, die erkannt wurden, zu beseitigen und komme dieser Pflicht beispielsweise auch durch Fahrbahnsanierungen nach. „Eine breite Sicherheitszone neben der Fahrbahn wird nicht angestrebt“, versichert Lutz. Obwohl sich die Sicherheitsmaßnahmen bewährt hätten, komme es auch an den ausgebauten Stellen zu schweren Unfällen durch „fehlerhaftes und unverantwortliches Verhalten“. Die vielen schweren Motorradunfälle auf der B 48 findet auch Landrat Paul Junker besorgniserregend, doch er hält die kritisierten Maßnahmen gerade deshalb für sinnvoll: Ob Vegetationsrückschnitt zur Schaffung von Sichtdreiecken, Beseitigung von Hindernissen, Schließung von Waldwegen, Ausstattung von Planken mit Unterfahrschutz – die Kreisverwaltung habe alle Maßnahmen in ihrer Funktion als Straßenverkehrsbehörde wie auch als Mitglied der Unfallkommission unterstützt. „In Gefährdungszonen wurde zudem die Höchstgeschwindigkeit auf Tempo 70, 50 oder sogar 40 reduziert und streckenweise Überholverbot angeordnet.“ Eine generelle Senkung etwa auf Tempo 70 hält er aber nicht für sinnvoll. „Dadurch würde zugleich an kritischen Stellen die Warnfunktion entfallen.“ Auch am Stüterhof muss aus Junkers wie aus Lutz’ Sicht nichts geändert werden: „Die Entscheidung, hier keine Reduktion auf Tempo 70 anzuordnen, wurde einvernehmlich getroffen“, betonen beide und verweisen auf „relativ gute Sichtweiten und den geringen Einmündungsverkehr“. Zudem gebe es ein Schild, das Autofahrer und Biker auf die Einmündung hinweist. „In den letzten fünf Jahren ist es hier auch zu keinem Unfall mit abbiegendem Verkehr gekommen“, unterstreicht Richard Lutz. Für Junker sind „häufige, engmaschige Geschwindigkeitskontrollen“ das Mittel der Wahl, um der Raserei Herr zu werden: „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Angst den Pfälzerwald am besten hütet – und plädiere deshalb dafür, ebenso wie für mehr Personal bei der Polizei.“ Auch die Einrichtung von stationären Messanlagen solle man ins Kalkül ziehen. Außerdem setzt er auf Prävention: „Man muss den Leuten drastisch vor Augen führen, was passieren kann“, meint Junker. Auch Lutz ist für mehr Kontrollen, geht aber noch einen Schritt weiter. „Als ultima ratio sollte auch die zeitweise Sperrung der B 48 und aller möglichen Ausweichstrecken im Pfälzer Wald für Motorradfahrer in Erwägung gezogen werden.“ Dass es nicht leicht ist, die schwarzen Schafe unter den Motorradfahrern aus dem Verkehr zu ziehen, ist allen bewusst. Fahrverbote treffen die gesamte Bikergemeinde und führen zur Verlagerung der Rennen auf andere Strecken. Und auch Kontrollen sind nicht das Allheilmittel. Über Apps auf dem Smartphone sind diese schnell in der Szene bekannt und damit wirkungslos, sagt Biker-Beauftragter Willibald Weigel vom Polizeipräsidium Westpfalz: „Unsere Kontrolltrupps wissen: Nach kurzer Zeit ist der Kontrollpunkt ,verbrannt’.“

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