Kultur Südpfalz Blickpunkt: Mitbewerber der Händel-Festspiele in Karlsruhe: Die Briten und die Welfen

Royal geprägt waren alle drei deutschen Händel-Festspiele in diesem Jahr, denn Karlsruhe zeigte ja die Oper zu Richard Löwenherz – und in Göttingen wie in Halle wurde des Beginns der Personalunion zwischen dem englischen Königshaus und dem Haus Hannover vor 300 Jahren gedacht. In Göttingen wurde daneben die selten gespielte Händel-Oper „Faramondo“ gezeigt.

1714 war der Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg, Georg Ludwig, weil nächster protestantischer Verwandter der verstorbenen englischen Königin Anne, der Mann für den englischen Thron. Georg Ludwig war übrigens der Sohn der Sophie von der Pfalz und zeitweilig Dienstherr Händels in dessen kurzer Zeit in Hannover. Bei seiner Krönung als George I. war Händel noch nicht beteiligt, 1727 aber bei der Krönung George II. wurde Händel mit der Komposition jener berühmten Anthems beauftragt, die zum Teil noch heute in Gebrauch sind. Der Anfang von „Zadok, the Priest“ wird zudem bei der Musik zur Fußball-Champions League eingesetzt. Klar, dass bei dem etwas kess mit „Herrschaftszeiten“ überschriebenen Göttinger Programm jene vier Krönungshymnen aufgeführt wurden. Laurence Cummings, der künstlerische Leiter der Festspiele, machte das zur Chefsache am Pult des NDR-Chores und des FestspielOrchesters, das nun schon im neunten Jahr besteht. Er ergänzte das Programm um zwei Konzerte der Bach-Söhne Carl Philipp Emanuel Bach – der ja vor 300 Jahren geboren wurde – und Johann Christian. Vor allem das Oboenkonzert Philipp Emanuels wurde von der Solistin Susanne Regel sehr subtil im Ausdruck und warm im Ton musiziert. Als Solo-Oboistin der Deutschen Händel-Solisten in Karlsruhe hatte die Musikerin im Frühjahr auch im Staatstheater in der Oper und im Konzert prägende Akzente gesetzt. Die Hymnen selbst ließ Cummings ohne Bombast, dafür sehr rhythmisch und luftig im Ton erklingen. Der NDR-Chor zeigte sich, wie schon in vielen Göttinger Konzerten, eng vertraut mit einem stilgemäßen Gesangsvortrag. Das FestspielOrchester mit Musikerinnen und Musikern aus aller Herren Länder, dazu nicht wenigen, die auch bei den Händel-Solisten spielen, bewährte sich einmal mehr als vorzügliches Originalklangensemble. Sehr gut war die Idee, einzelne Musiker oder Gruppen aus dem Orchester für eine Reihe kleinerer Konzerte zu gewinnen. In Karlsruhe hat das Kammerkonzert von Mitgliedern der Händel-Solisten ja eine lange Tradition, aber es ist eben nur eines – und es verbleibt beim barocken Repertoire. In Göttingen zeigten die Alte-Musik-Spezialisten auch ihre anderen Seiten und Vorlieben. Zum Beispiel der kanadische Flötist Brian Berryman, der mit Orchesterkollegen sowie dem Folk-Gitarristen Cornelius Bode schottischen und irischen Folk in sehr effektvollen Arrangements überaus animierend und spritzig spielte und in einem Nachtkonzert sein Publikum bei bester Laune hielt. Zurück zum royalen Jubiläum: auch eine Rekonstruktion des Musikprogramms zur Krönung George I. war Teil der Festspiele. In Analogie zu Robert Kings und seines King’s Consort legendärer und auch auf CD festgehaltener Rekonstruktion der Musik zur Krönung George II., die unter anderem 2002 in Halle und 2013 beim Rheingau Musik Festival aufgeführt wurde, zeichneten der Knabenchor Hannover und der Göttinger Knabenchor sowie Musica Alta Ripa unter Jörg Breiding das vorwiegend auf polyphone Musik ausgerichtete Programm von 1714 nach. Einzig William Crofts Anthem „The Lord is the Son and a Shield“ ist bestimmt vom modernen konzertierenden Stil des Spätbarocks. Ein Sprecher, Stefan Wiefel, gab Erläuterungen zum Ablauf. Doch so interessant diese waren und so trefflich gesungen wurde, Robert Kings wortlose Version, die die Musik ganz für sich sprechen ließ, machte die größere Wirkung. Das große Oratorium der Festspiele war der „Joshua“ aus dem Jahr 1747, der gut den „Herrschaftszeiten“ passte, weil er eines der „Siegesoratorien“ ist, die in Gestalt der biblischen Stoffe indirekt den Sieg der englischen Krone über die Truppen des katholischen Thronprätendenten Charles Edward Stuart besingen. Laurence Cummings, der NDR-Chor und das FestspielOrchesters warteten mit einer Aufführung von erlesener Qualität in Ton und Ausdruck auf, die weniger auf Knalleffekte und Pomp denn auf Feinschliff, natürlichen Fluss und eine noble Ausarbeitung der Affekte ausgerichtet war. Bei den Solisten zeichnete sich Anna Dennis, die große „Entdeckung“ des vergangenen Jahres, mit kultiviertem Vortrag ebenso aus wie der Tenor Kenneth Tarver, der mit großer Intensität und betötender Stimmfarbe die Titelpartie sang. Der späten Oper „Faramondo“ galt die szenische Produktion dieses Jahres, ein trotz offenkundiger musikalischer Schönheiten wohl auch wegen des verschrobenen Stoffes Rarität gebliebenes Werk. Laurence Cummings sorgte am Pult des agilen FestspielOrchesters auch hier dafür, dass Händels Musik ihre Reize und ihre Sprachkraft auf sensible Weise entfalten konnte. Ein junges und engagiertes Sängerensemble folgte ihm dabei auf beachtlichem Niveau. Mit geschmeidigem Mezzo fiel Emily Fons in der Titelpartie auf, virtuosen Glanz bot Anna Devin als Clotilde – und als kunstvoll agierender Countertenor mit Perspektiven überzeugte Maarten Engeltjes als Adolfo. Auch Anna Starushkevych als Rosimonda setzte mit ausdrucksvollem Barockgesang Zeichen. Die Inszenierung von Paul Curran in Gary McCanns Ausstattung verlegte das Stück in den Halbwelt der Gegenwart und machte einen wüsten Krimi aus der Oper. „Sex and Crime“ als Erfolgsrezept? Nun, es war ordentlich „Action“ auf der Bühne und der Unterhaltungsfaktor entsprechend hoch. Doch gerade im Vergleich mit der barockisierenden Karlsruher „Riccardo“-Regie war schnell klar, dass Händels Musik auf jene Art mehr zu ihrem Recht kommt. Doch anregend war das älteste Barock-Festival der Welt im 94. Jahr nach seiner Gründung wieder. (rg)

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