Rheinpfalz Alleine in einer anderen Welt

Neustadt. Sie kommen ohne Eltern oder andere Angehörige: Die Anzahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nimmt ebenso zu wie die der „normalen“ Asylbewerber. Im Christlichen Jugenddorf Neustadt leben zurzeit 23 Jungen zwischen 16 und 19 Jahren, die ihre Heimat verlassen haben, um ein besseres Leben zu finden.

Rahman Yavarii ist ein „Umf“. Das ist die gebräuchliche Abkürzung für den eher sperrigen Fachbegriff „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“. Proportional zur steigenden Anzahl von Flüchtlingen aus den vielen Krisengebieten der Welt nimmt auch die Anzahl der „Umfs“ zu. Eine beim Landesjugendamt akkreditierte Einrichtung für die Unterbringung dieser Minderjährigen ist das Christliche Jugenddorf (CJD) Neustadt. 23 junge Leute zwischen 16 und 19 Jahren leben derzeit in CJD-Gruppen, darunter der 18-jährige Afghane Yavarii. Mit einem sehr freundlichen und offenen Gesichtsausdruck sitzt der junge Mann an diesem sonnigen Morgen im Innenhof des CJD. Was er in seinem noch jungen Leben schon alles durchgemacht hat, sieht man ihm nicht an. Seit November 2014 lebt er in einer betreuten Wohngruppe in Neustadt. Darüber ist er sehr glücklich. Doch der Weg dahin war traurig, steinig und sehr gefährlich. Seine Mutter lebt schon seit einigen Jahren nicht mehr, sie starb an Krebs. Sein Vater und sein Onkel kamen in einem Lastwagen ums Leben – bei einem Bombenanschlag. Damit nicht genug: Zwei Wochen nach diesem tödlichen Drama erlitt seine Pflegemutter einen Herzinfarkt und starb ebenfalls. Somit waren Yavarii, sein 14-jähriger Bruder und seine sechsjährige Schwester auf sich alleine gestellt. Die beiden Jungs wagten einen Neuanfang. Während die kleine Schwester in Afghanistan unterkam, machten sich sich auf den Weg in den Iran. Der Bruder blieb dort, aber Yavarii wollte weiter, sehnte sich nach Europa. In der Türkei bestieg er dann eines dieser Boote, die jeder aus unzähligen Fernsehbildern vor Augen hat: klein und vollgestopft mit Menschen. Mit 150 Leidensgenossen trat Yavarii die Fahrt über das Mittelmeer an, die neun Tage dauerte – mit nur wenigen Lebensmitteln und kaum Wasser. Die Bootsfahrt endete in Italien, und schließlich hieß es für Yavarii, dass er nach Deutschland kommt. Erstmals ein bisschen zur Ruhe kam der inzwischen 18-Jährige in Trier, im Jugendhilfezentrum Helenenberg. Dort werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die dem Land Rheinland-Pfalz zugeteilt wurden, solange untergebracht, bis sie in eine geeignete Einrichtung überstellt werden können. Im November vergangenen Jahres war es dann soweit: Sozialpädagoge Lutz Rauscher vom CJD holte Yavarii in Trier ab. Rauscher ist Yavariis Betreuer in Neustadt – die Bezugsperson soll vom ersten Moment an die selbe sein, um Vertrauen auf- und Ängste abzubauen. Auf der Fahrt von Trier nach Neustadt seien die Jungs – im Neustadter CJD sind nur junge Männer untergebracht – meist sehr still, erzählt Rauscher. Kein Wunder: Sie sitzen mit einem fremden Menschen in einem Auto, verstehen die Sprache kaum oder meist gar nicht und wissen nicht, was sie am Ende der Fahrt erwartet. „Hier werden sie dann aber zum größten Teil von Landsleuten empfangen – dann löst sich die Ungewissheit und Anspannung innerhalb von wenigen Minuten auf“, sagt Rauscher. Am Tag ihres Einzugs bekommen sie alles gezeigt. Eine der ersten Fragen, die Yavarii stellte: „Wo ist der Kraftraum?“, erinnert sich der Afghane. Sport ist ihm ganz wichtig, dabei kann er sich auspowern, den Kopf freibekommen. Das gelte für die meisten jungen Flüchtlinge „und wird von vielen förmlich aufgesaugt“, berichtet Rauscher. In den nächsten Tagen folgt dann die Eingewöhnung. Das CJD übernimmt derweil im Hintergrund die behördlichen Erledigungen und klärt, ob der junge Flüchtlinge Integrationskurse in der Volkshochschule oder sogar eine „normale“ Schule besuchen kann. Das Wichtigste sei, dass die Neuankömmlinge so schnell wie möglich Deutsch lernten, betont Rauscher. Bei Yavarii hat das außerordentlich gut geklappt. Bei Yavarii funktioniert aber nicht nur die sprachliche Integration: Inzwischen trainiert der junge Mann in einem Fußballverein mit – er ist Torhüter – und geht zweimal die Woche zum Boxen. Er ist unheimlich froh, hier zu sein. Freunde außerhalb des CJD hat er auch schon gefunden. Sein nächstes Ziel ist ein Praktikum als Maurer und danach eine Ausbildung. Über allen Plänen hängt allerdings die Angst vor der Abschiebung. Yavariis Asylantrag ist abgelehnt worden, sein Glück ist der Abschiebestopp nach Afghanistan. „Schwebezustand“ sagt Lutz Rauscher dazu und weiß nur zu gut, dass sich viele seiner Schützlinge in einem solchen Zustand befinden und sehr darunter leiden.

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