Rheinpfalz 20 Euro für die Dummheit

Spaziergänger, die mit dem Auto mitten in die Wiese fahren; Fremde, die blind dem Navi folgen; Liebespärchen, die ungestört sein wollen und dabei die offiziellen Wege verlassen; junge Männer, die zu schnell oder mit zu viel Promille in die Kurve fahren; Autofahrer, die erst in der Böschung merken, dass es auf der Straße glatt ist; Arbeiter, denen auf dem Heimweg von der Schicht die Augen zufallen: Wer auf der Sickinger Höhe als Schlepperbesitzer bekannt ist, wird öfter rausgeklingelt, um solchen Kandidaten zu helfen. „Man will ja auch helfen“, sagen alle Landwirte, mit denen die RHEINPFALZ über ihre Abschleppdienste gesprochen hat. Weil da häufig einer in Not ist. Das Auto liegt im Graben oder ist festgefahren, der Fahrer ist mit den Nerven runter. Weil er sich über sich selbst ärgert, schon ein paar Kilometer gelaufen ist, um Hilfe zu holen, und dabei erbärmlich friert und sich auch ein bisschen schämt. Doch die landwirtschaftliche Nächstenliebe ist problematisch. Eigentlich dürfen Bauern mit ihrem Schlepper bei Unfällen nicht helfen − auch wenn nur das eine Auto beteiligt und niemand zu Schaden gekommen ist. Beschädigt der Autofahrer zum Beispiel eine Leitplanke und macht sich dann mit seinem Wagen vom Acker, ist das Unfallflucht. Und der Landwirt, der ihn herausgezogen hat, hat sich der Beihilfe dazu schuldig gemacht. Brenzlig ist es auch, wenn der Fahrer getrunken hat. Zudem ist das Abschleppen, wenn der Landwirt dafür Geld nimmt, eigentlich eine umsatzsteuerpflichtige Leistung. „Wenn ich dafür 20 Euro bekomme, müsste ich 19 Prozent Umsatzsteuer ans Finanzamt abführen“, erklärt Dieter Glahn aus Großbundenbach. Das macht natürlich keiner − die Bauern behalten die 3,80 Euro. Sie verstehen das Geld nicht als Lohn, sondern eher als kleine Aufwandentschädigung. Auch wenn das Abschleppen meist nicht lange dauert: Es gibt angenehmeres, als im Winter mitten in der Nacht wegen wildfremder Leute raus zu müssen. Viele können oder wollen aber sowieso nicht gleich zahlen. „Fahr nie ohne Geld los. Du musst immer 20 Mark einstecken haben − es kann sein, dass dich mal einer rausziehen muss“, schärften Eltern ihren Kindern früher auf dem Dorf ein. Heute offenbar nicht mehr, und so bekommen die Bauern für ihre Hilfe nicht selten nur warme Worte. „Ich komm’ demnächst mal vorbei und bring’ Ihnen was ...“, versprechen viele. Und revanchieren sich doch nie. Uwe Bißbort aus Windsberg hat deshalb auf Vorkasse umgestellt. Wenn er Fremde aus dem Graben ziehen soll, verlangt der Landwirt 20 Euro, ehe er ausrückt. Auch Bekannten musste er schon helfen: Männern in Grün etwa, die zu tief ins Glas geschaut hatten und dann von der Straße abkamen. Oder dem Techniker, der einen Mobilfunkmasten warten wollte und sich dabei derart verfranste, dass er Bißbort nachher gar nicht mehr sagen konnte, wo der das Auto rausziehen sollte. „Aber als er was von dem Masten sagte, wusste ich, wo er falsch gefahren sein könnte.“ Viele Fahrer biegen nicht falsch ab, sondern unterschätzen den feuchten Untergrund. „Die können sich dann gar nicht vorstellen, wie nass es in der Wiese ist“, erzählt Bißbort, wie auch die einfachsten Wendemanöver − nur kurz in die Wiese zurückstoßen! − in der freien Natur misslingen können. Doch manche Dinge konnte sich auch Bißbort nicht vorstellen, bis er sie sah: „Ich hab’ mal einen aus dem Bach gezogen. Der war betrunken, das Auto Totalschaden. Ich weiß heute noch nicht, wie der aus dem Auto heil herausgekommen ist.“ Zwischen drei- und achtmal rücken die Landwirte nach eigenen Worten übers Jahr aus, um Autofahrern aus der Klemme zu helfen und ihnen damit auch die Kosten eines Abschleppunternehmens zu ersparen. „Ich kläre die Leute vorher auf, dass auch was kaputtgehen kann, wenn ich sie rausziehe“, erzählt Dieter Glahn. Der Großbundenbacher drückt den Autofahrern in der Regel das Abschleppseil in die Hand und sagt: „Wenn Sie wollen, dass ich Sie rausziehe, hängen Sie’s ein.“ Er will vorab kein Geld, nachher auch nicht unbedingt: „Ein ,Dankeschön’ reicht mir auch.“ Doch wer ihm was geben will, macht es in der Regel auch. Nicht immer bleibt das Versprechen leer. „Es sind auch viele ordentliche Leute dabei, die dann tatsächlich was bringen“, hat der Landwirt festgestellt. Viele Abschlepp-Einsätze wären zu vermeiden gewesen. „Manch einer sollte vielleicht einfach besser fahren lernen“, sagt Glahn. „Bei den heutigen Autos kann doch kaum noch was passieren vor lauter Technik.“ Doch auch bei lauter Technik sollte man wissen, wo am eigenen Auto die Abschlepp-Öse festgeschraubt wird − und wo die Öse überhaupt ist. Der Lambsborner Karl Gortner sagt Leuten schon mal direkt, dass sie an ihrer Lage selbst schuld sind. Das klingt dann etwa so: „Fürs Abschleppen will ich nichts − aber für die Dummheit 20 Euro.“ Gortner macht Unterschiede. „Wenn’s normale Leute sind, nehme ich ihnen nichts ab.“ Häufig tue einem der arme Tropf ja auch leid, der da im Schnee neben dem Auto steht, „mit nix an wie einem Blüschen“, erzählt Gortner. „Am dollsten sind die, die einfach dem Navi nachfahren“, erinnert sich der Landwirt an „etliche Speditionsfahrer“, die nahe des Lambsborner Sportheims im Wald feststeckten − auf einem Weg, der gar nicht für sie gedacht, aber dennoch im Navi drin ist. Sogar die Polizei hat Gortner schon abgeschleppt: „Auch die fährt mal hin, wo sie nicht hin soll...“ Es kommt aber auch vor, dass Landwirte selbst Hilfe brauchen. „Ich hab’ mich schon mal auf einer Wiese oder am Acker mit dem Auto festgefahren“, berichtet Gerd Becker aus Reifenberg schmunzelnd, wie er nach Hause laufen musste, um seinen Schlepper zu holen. „Da trifft man natürlich einige, die breit grinsen.“ Doch nicht immer kann ein Bauer helfen. Becker erzählt von einem „Spezialisten“, der mit einem Laster, der Schotter geladen hatte, rückwärts in einen Fischweiher rutschte. Da mussten Profis ran, da konnte auch der Traktor nichts mehr ausrichten.

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