Tennis „Es war schlimm“: Wie Andrea Petkovic ein neues Leben beginnt

Andrea Petkovic bei ihrer Verabschiedung vom aktiven Profitennis in Bad Homburg.
Andrea Petkovic bei ihrer Verabschiedung vom aktiven Profitennis in Bad Homburg.

Ein Bruch. Ein Abschluss. Was viele kennen, erlebte Petkovic mit ihrem Karriereende. Das Loslassen verarbeitet sie in einem Buch. Tennis ist Familie, ist Sucht, sagt sie: „Es war schlimm.“

Andrea Petkovic weint. Ihr Loslassen von ihrem geliebten Tennis beginnt mit Trauer. Später, Wochen nach ihrem letzten Match, fühlt sie sich orientierungslos, verloren. Ohne Kontur, schreibt sie. Eindrucksvoll lauten ihre Worte: „Wenn ich gesund esse, weiß ich nicht, wozu. Wenn ich acht Stunden schlafe, weiß ich nicht, wozu. Wenn ich einatme und ausatme, weiß ich nicht, wozu.“

So viel in ihrem Leben war auf Tennis ausgerichtet. Der geregelte Tagesablauf, die Ernährung. Alles machte sie, um die beste Leistung zu zeigen. Plötzlich fiel das weg. Ihr Karriereende, den Weg dorthin und Tiefs im Anschluss, die sie schnell überwand, beschreibt Petkovic in ihrem zweiten Buch: „Zeit, sich aus dem Staub zu machen.“ Sie erzählt, wie schwer es ihr fiel, sich zu verabschieden, und wie sie in ein neues Leben einsteigt.

„Ein bisschen unterschätzt“

„Ich habe die ganze Erfahrung des Karriereendes ein bisschen unterschätzt“, sagt sie, „weil ich immer das Gefühl hatte, ich habe mir so viele andere Sachen aufgebaut, für mich wird es nicht so schlimm, Tennis loszulassen. Und dann Bumm, Überraschung: Es war sehr schlimm.“

Das erste Kapitel fing sie an, als das Ende nahte, um ihre Gedanken zu sortieren. Die 36-Jährige war neben Angelique Kerber eine der erfolgreichsten deutschen Tennisspielerinnen der Post-Steffi-Graf-Ära. Zur Nummer neun der Welt stieg sie zwischenzeitlich auf, erreichte bei den French Open 2014 das Halbfinale, gewann fast neun Millionen Dollar Preisgeld. Doch immer wieder war sie verletzt. Sie wird älter, kann mit der Weltspitze nicht mehr mithalten.

„Ich hatte im letzten Jahr meiner Karriere die ganze Zeit zwei Stimmen in meinem Kopf. Einerseits dieses: „Ich bin zu alt, ich kann es nicht mehr, ich muss jetzt aufhören“, beschreibt sie die eine Seite, müde vom Druck: „Und auf der anderen Seite die andere Andrea, die immer gesagt hat: Halt noch durch. Es macht dir doch Spaß, du liebst doch den Sport.“

Mit welcher Wucht sie dann der Bruch in ihrem Leben nach all den Jahren Profitennis im Sommer 2022 traf, überraschte sie selbst. Tennis sei wie „Familie“, sagt Petkovic: „Leistungssportlerin zu sein, ist eine Identität. Ich glaube, man hat das Gefühl, man nimmt einen ganzen Teil seiner selbst und schmeißt den weg.“

Andrea Petkovic 2019 als ZDF-Moderatorin.
Andrea Petkovic 2019 als ZDF-Moderatorin.

Dabei fühlte sie sich vorbereitet. Petkovic gilt als vielseitig interessiert, gebildet, ehrgeizig. Sie hatte sich schon während ihrer Karriere in verschiedenen Feldern ausprobiert. Sie veröffentlichte ein Buch, schrieb für verschiedene Medien, trat als Moderatorin im ZDF auf.

„Dass es eine schmerzhafte Trennung ist, ist gut nachzuvollziehen“, sagt Sportpsychologin Babett Lobinger von der Deutschen Sporthochschule Köln. Das Leben als Tennisprofi sei einerseits privilegiert. Andererseits sei man ein Umherziehender, habe den Leistungsdruck. Und der Leistungssport mache sehr viel von der Persönlichkeit aus.

Im Kleinen kennen einen solchen Bruch viele, etwa beim Schritt in die Rente, beim Job- mit Stadtwechsel, sagt die Sportpsychologin. „Wenn die Facette hinzukommt: „Wer bin ich, wenn ich diese Rolle nicht mehr habe“, ist das ein gravierender Prozess“, erklärt die Sportpsychologin über das Karriereende als einen intensiven Abschluss. Für Lobinger ist Petkovic ein Vorbild, das beim Ausstieg vieles richtig macht. „Trauern gehört auch dazu, um das Kapitel abzuschließen. Ebenso wie, dass man sich dem stellt und zulässt, dass man verschiedene Phasen der Wut und Trauer durchlebt.“

Kuchen essen bis zum Anschlag

Petkovic durchlebte etwa auch eine Phase, in der sie Kuchen aß, bis ihr schlecht wurde. Sie sei teilweise sinnlos bis zwei Uhr morgens an ihrem Handy gewesen. „Nur weil ich es konnte. Es war wie so ein kleines Kind, das etwas Verbotenes macht“, sagt sie. „Ich habe aber relativ schnell gemerkt, dass man auch gesund leben kann, um sich wohlzufühlen.“

Schlimmer als das eigentliche Karriereende an sich sei die Zeit zuvor gewesen, als sie sich nach Wimbledon 2022 entschieden hatte, dass es vorbeigehe: „Da habe ich nur geheult.“

Erste ernsthafte Gedanken waren 2020 nach einer Knie-OP aufgekommen. 2021 sollte ihr letztes Jahr werden. Die Pandemie schenkte ihr aber Zeit, zu regenerieren, und so hängte sie eine Saison dran. Ihr letztes Match verlor sie schließlich bei den US Open 2022 gegen die Schweizerin Belinda Bencic – und fühlte sich anschließend nicht nur traurig, sondern auch befreit und erleichtert. Der große Druck fiel ab. Schmerzen im Ellbogen hätten am Ende das Fass zum Überlaufen gebracht. „Es war nicht ein Knall, den ich mir gewünscht habe.“

Wie eine Sucht

Tennis mit dem permanenten K.o.-System fühlte sich für Petkovic wie eine Sucht an, von der sie nicht loskam. „Das normale Leben ist viel, viel komplexer. Wenn man als Tennisspielerin aufgewachsen ist, gewöhnt man sich an ein Schwarz-Weiß-Denken. Gewonnen oder verloren.“ Euphorie oder Ernüchterung.

Die 36-Jährige spielt weiterhin etwas Tennis und arbeitet als Mentorin für Talente im Deutschen Tennis-Bund. Dazu kommentiert sie künftig auch für Sky - und will weiter schreiben. Ihr Karriereende sei im Rückblick der „perfekte Abschied“ gewesen. „Weil ich glaube, dass es danach rapide bergab gegangen wäre“, sagt sie: „Diese idealen Rücktritte, die wir im Kopf haben, dieses noch mal irgendwo groß triumphieren, sind ja eher die Ausnahme. Und dann kommt ja noch hinzu, dass du, wenn du ein Turnier gewinnst, denkst: Wieso sollte ich jetzt aufhören?“

x