Sport Elfmeter sind was Witziges

«MOSKAU.»Mit seinem Schmerz war James Rodríguez ganz alleine. Einsam kauerte der Kolumbianer nach dem Schlusspfiff auf der Ersatzbank im Spartak-Stadion von Moskau und verdrückte bittere Tränen. Hilflos hatte der Bayern-Profi mit ansehen müssen, wie die „Cafeteros“ mit 3:4 im Elfmeterschießen im Achtelfinale an England scheiterten. Später postete James dann ein Foto genau dieser Szene auf der Bank, dazu ein Emoji von einem gebrochenen Herzen. „Uns hat der Schlüsselspieler gefehlt. Was das Herausspielen von Chancen angeht, ist James ein entscheidender Spieler“, bedauerte Kolumbiens Nationaltrainer José Pékerman. „Wir haben die ganzen 120 Minuten mit aller Kraft gekämpft“, beteuerte Kapitän Radamel Falcao nach dem bitteren K.o. in dem Nervenspiel. „Wir gehen verärgert und enttäuscht. Aber Kolumbien wird noch stärker zurückkommen.“ Der Profi vom AS Monaco ärgerte sich über die Leistung von US-Referee Mark Geiger. „Der Schiedsrichter war eine Schande“, schimpfte Falcao. Nach Pékermans Geschmack unterbrach Geiger zu oft die Partie, allerdings lag dies meist an den überaus ruppig auftretenden Spielern seines Teams. Unabhängig vom Ausgang der Partie erhielt der WM-Viertelfinalist von 2014 viel Lob für seinen Kampfgeist – unter anderem von Staatspräsident Juan Manuel Santos. Die Tageszeitung „El País“ schrieb: „Danke, ihr Krieger. Kolumbien hat seine Seele auf dem Platz gelassen.“ Während die Kolumbianer auf dem Platz trauerten, gab es für die Engländer kein Halten mehr, nachdem der englische Torwart Jordan Pickford die „Three Lions“ ins Viertelfinale gebracht hat. Die Zeitung „The Times“ machte Pickford gar zum „Retter unserer Welt“. England hat ein Elfmeterschießen gewonnen. Das gab es bei einer WM vorher noch nie. Was wie Satire und so paradox klingt, wurde beim 4:3 im Achtelfinale wahr – auch dank der Akribie ihres Nationaltrainers Gareth Southgate, der Fehlschütze der Heim-EM 1996. Die ewige Last vom Punkt, das Dauer-Scheitern in den vergangenen Jahren. Am Ende gewannen die „Three Lions“. „Die Statistik macht es schwieriger für uns, aber wir waren relaxed, weil wir vorher Witze darüber gemacht haben“, sagte Southgate. Harry Kane und Co. schossen mutig, schossen wuchtig, schossen sich platziert ins Glück. „Das ist eine große Nacht für England, die Jungs sind fantastisch“, sagte Kane, mit sechs Treffern derzeit Top-Torschütze des Turniers. „Elfmeter verraten viel über die Mentalität.“ Und diese zeigten die Engländer. Selbst die Royals sind stolz auf ihr Team. „Ich könnte nicht stolzer auf England sein – ein Sieg im Elfmeterschießen. Ihr solltet wissen, dass das ganze Land hinter euch steht“, schrieb Prinz William über den Twitter-Account des Kensington-Palastes. Der Jubel und die Szenen auf dem Rasen des Spartak-Stadions sahen eher nach WM-Titel als nach Viertelfinal-Einzug aus. „Solche Momente muss man mit den Händen ergreifen, und das haben wir als Team auch gemacht“, sagte Angreifer Raheem Sterling. Das Mutterland des Fußballs träumt nun vom ersten WM-Titel seit 1966. Vor allem Kane nährt die Hoffnung auf den Titel. Der 24-Jährige ist bislang der Star dieser Endrunde in Russland. „Wir sind aufgestanden und wollten gewinnen. Das sind Momente, in denen du den echten Charakter siehst“, betonte der Profi von Tottenham Hotspur. Der Torgarant, ein gewachsenes und hungriges Kollektiv sowie die neue Nervenstärke machen die „Three Lions“ zu einem Anwärter auf den Titel. Auf dem Gipfel sind die Engländer aber noch nicht. Im Viertelfinale gegen Schweden am Samstag in Samara können Southgates Jungs erstmals seit 28 Jahren ein WM-Halbfinale erreichen. Sollte es dort zu einem Elfmeterschießen kommen, ist da mit Pickford auch noch der neue Held zwischen den Pfosten. KOMMENTAR

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