WM-Gastkommentar „Die Wechselstrategie bekommt eine ganz besondere Bedeutung“

Wirklich vorbereiten kann man in gut einer Woche nicht. Bundestrainer Hansi Flick muss daher vor allem auf die Belastungssteueru
Wirklich vorbereiten kann man in gut einer Woche nicht. Bundestrainer Hansi Flick muss daher vor allem auf die Belastungssteuerung für seine Spieler achten.

Vier Wochen WM in Katar: Da wird so manches passieren. Die RHEINPFALZ bittet Experten um ihre Meinung. Wir starten mit Ex-Nationalspieler und Ex-Trainer Hans-Peter Briegel.

Aufgezeichnet von Wolfgang Pfeiffer

Ich denke, das wird eine ganz besondere Weltmeisterschaft. Denn noch nie hat es eine Welt- oder Europameisterschaft gegeben, für die die Trainer nur etwas über eine Woche Vorbereitungszeit mit ihren Mannschaften hatten. Normalerweise sind es drei bis vier Wochen. Das einzig Gute dabei: Im Prinzip haben fast alle denselben Nachteil.

Mit zehn Tagen Vorbereitung hast du als Trainer nicht viele Möglichkeiten. Die Spieler kommen schon mit vielen Spielen in den Knochen an. Also ist es in erster Linie eine Mischung aus Belastungssteuerung und Regeneration. Konditionstraining kannst du nicht machen, brauchst du vermutlich auch nicht, weil alle ja noch im Spielrhythmus sind.

Die Spieler sind ja alle taktisch gut geschult

Und natürlich kannst du als Trainer ein wenig einspielen lassen, ein bisschen an der Taktik feilen. Zumindest die großen Mannschaften brauchen da aber nicht allzu viel, weil ihre Spieler taktisch schon ausgezeichnet geschult sind.

Dennoch ist es natürlich etwas ganz Neues, und man muss sehen, wie die Mannschaften damit klarkommen; wie schnell sie in WM-Form sind. Am Anfang mögen kleinere Mannschaften wie Katar, die eigens für die WM früher mit dem Spielbetrieb aufgehört haben, noch ein bisschen davon profitieren, dass sie mehr Zeit miteinander hatten. Ich glaube aber, dass – je weiter das Turnier fortschreitet – die großen Nationen sich dennoch durchsetzen werden. Die Mannschaften, die in der Breite auch sehr stark aufgestellt sind.

Der Trainer muss sehr genau hinschauen

Denn den Auswechslungen wird meiner Meinung nach eine besondere Bedeutung zukommen – auch wegen der Hitze. Dass man seit Covid fünf Spieler einwechseln kann, ist richtig und gibt auch ganz andere Möglichkeiten. Wenn es nicht gut läuft, kannst du früh drei neue Spieler auf einmal einwechseln, um Impulse zu geben. Oder du kannst zweimal zwei frisch aufs Feld schicken und hast dennoch noch einen Wechsel für eine Verletzung in der Hinterhand. Damit bekommt, gerade vor dem Hintergrund der besonderen Umstände dieser WM, die Wechselstrategie eine viel größere Bedeutung als zuvor. Der Trainer muss sehr genau hinschauen, wann und wie er eingreift.

Dass jetzt irgendein Team besondere Vorteile durch die WM in der Wüste haben wird, sehe ich so nicht. Klar, unsere Spieler kommen aus 12 bis 14 Grad in ein Wetter mit um die 30 Grad. Aber selbst die Stars aus Brasilien oder Argentinien spielen ja auch fast alle in Europa und haben etwa dieselben Anpassungsprobleme wie die Mitteleuropäer. Das wird also keinen Unterschied machen.

Wirtz hätte ich gerne gesehen

Ich denke, dass auch die deutsche Mannschaft wieder eine gute Rolle spielen wird. Denn wir haben die notwendige taktische Schulung und auch die notwendige Breite im Kader, um jederzeit auf Spielsituationen reagieren zu können. Klar gibt es immer Diskussionen um die Kaderzusammenstellung. Aber wenn ich mir meine frühere Position anschaue, die des linken Verteidigers, war ja die Frage, welche zwei von Raum, Gosens und Günter der Bundestrainer mitnimmt. Ganz ehrlich: Da hätte ich mich mit der Auswahl auch sehr schwer getan.

Ansonsten hätte ich natürlich sehr gerne Leverkusens Florian Wirtz im Kader gesehen. Denn er ist in meinen Augen das größte deutsche Talent seit vielen, vielen Jahren. Aber da hat es leider nach seiner Verletzung nicht mehr gereicht. Und um Marco Reus hat es mir sehr leid getan. Er hat einfach Pech mit seinen Verletzungen vor großen Turnieren.

Zur Person

Hans-Peter Briegel, zu seiner aktiven Zeit „Walz aus der Pfalz genannt“, absolvierte zwischen 1975 und 1984 240 Bundesligaspiele für den 1. FC Kaiserslautern, wurde anschließend mit Hellas Verona italienischer Meister. 72-mal trug er das deutsche Nationaltrikot, wurde 1980 Europameister und 1982 und 1986 Vizeweltmeister. Als Nationaltrainer betreute der heute 67-Jährige, der aus Rodenbach stammt und in Germersheim lebt, unter anderem die Teams von Albanien und Bahrain.

Hans-Peter Briegel
Hans-Peter Briegel
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