Gazastreifen UN und WHO fordern vergebens Feuerpause

Menschen aus dem Gazastreifen warten am Grenzübergang zu Ägypten mit ihren Kanistern auf eine Wasserlieferung.
Menschen aus dem Gazastreifen warten am Grenzübergang zu Ägypten mit ihren Kanistern auf eine Wasserlieferung.

Die erwartete israelische Bodenoffensive scheint mit Vorstößen ins Palästinensergebiet begonnen zu haben. Am Samstag gibt es die bisher schwersten Luftangriffe. Die Bundeswehr wappnet sich für eine Evakuierung deutscher Bürger aus Nahost und schickt 1000 Soldaten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die radikalislamische Hamas und Israel erneut zu einer Feuerpause aufgerufen. Die WHO bekräftigte, es sei ansonsten unmöglich, Patienten aus dem Gazastreifen zu evakuieren. Die Kliniken in dem Palästinensergebiet seien nach 22 Tagen Krieg bereits völlig überfüllt, teilte die WHO am Samstag mit. Die UN-Vollversammlung in New York hatte am Freitag in einer Dringlichkeitssitzung mit großer Mehrheit eine „sofortige humanitäre Waffenruhe“ gefordert. In der Resolution wurde die Hamas, die Israel am 7. Oktober in einem blutigen Terrorangriff überfallen hatte, mit keinem Wort erwähnt. Deutschland enthielt sich.

Feuer und Rauch steigen nach einem Luftangriff über dem Gazastreifen auf.
Feuer und Rauch steigen nach einem Luftangriff über dem Gazastreifen auf.

Am Samstagabend mehrten sich die Hinweise darauf, dass eine breite Bodenoffensive Israels begonnen haben könnte. Bereits seit Freitagabend operierten israelische Truppen im Norden des Palästinensergebiets, das zwischen Israel und Ägypten am Mittelmeer liegt. Israels Militär rief die Zivilbevölkerung im Gazastreifen mit Flugblättern auf Arabisch nochmals auf, „unverzüglich“ in Richtung Süden zu flüchten.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte in Tel Aviv, die zweite Phase des Krieges habe begonnen. Ziel sei es, die militärischen Fähigkeiten sowie die Herrschaft der Islamistenorganisation zu zerstören und die Geiseln nach Hause zurückzubringen. Die Notstandsregierung habe die Entscheidung zur Ausweitung der Bodeneinsätze einstimmig getroffen.

UN-Chef kritisiert Israel scharf

Israels Luftwaffe hatte zuvor in der Nacht zu Samstag die heftigsten Luftangriffe im Gazastreifen seit Kriegsbeginn geflogen. Dabei kam es zu einem totalen Kommunikations- und Stromausfall in dem Küstenstreifen, in dem 2,3 Millionen Menschen leben. Die militanten Palästinensergruppen Hamas und Islamischer Dschihad setzten ihrerseits die Raketenangriffe auf israelisches Gebiet fort.

UN-Generalsekretär António Guterres kritisierte die „beispiellose Eskalation“ durch Israel während eines Besuchs in Katar scharf. In europäischen Hauptstädten gab es neue propalästinensische Kundgebungen, die größte war mit 100.000 Teilnehmern in London.

Auch in der Türkei gab es Massenproteste gegen Israel, dessen Regierung Aussagen des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan in Istanbul scharf zurückwies. Israel sei nur „eine Schachfigur“ in der Region, die, „wenn der Tag kommt“, geopfert werde, so Erdogan. Der jüdische Staat begehe „Kriegsverbrechen“. Zugleich warf er „westlichen Regierungen“ vor, hauptsächlich für die „Massaker“ im Gazastreifen verantwortlich zu sein.

Am Samstag gab es wieder Pro-Palästina-Demos in Europa, die größte war in London.
Am Samstag gab es wieder Pro-Palästina-Demos in Europa, die größte war in London.

Angaben aus Tel Aviv zufolge wurden zuletzt 150 unterirdische und militärische Ziele der Hamas getroffen. Die Gruppe, die seit 2007 infolge eines Putsches gegen die Palästinensische Autonomiebehörde den Gazastreifen beherrscht, hatte bei dem Terrorangriff am 7. Oktober mehr als 1400 Israelis getötet. Viele Menschen wurden entführt. Rund 230 Geiseln sollen noch immer in der Gewalt der Hamas sein. Diese machte am Samstag die Freilassung aller in Israel inhaftierten palästinensischen Gefangenen zur Bedingung für die Freilassung der Geiseln.

Waffen unter Krankenhaus versteckt?

Hamas-Kommandeur Assem Abu Rakaba, einer der Hauptverantwortlichen für den Angriff auf israelische Orte am Gazastreifen, sei nun getötet worden, teilte das israelische Militär mit. Palästinensischen Angaben zufolge wurden im Gazastreifen seit Kriegsbeginn mehr als 7700 Menschen getötet, darunter mehr als 3500 Kinder. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Laut dem israelischen Militär benutzt die Hamas bewusst Krankenhäuser als Rückzugsorte und Verstecke für Waffen, Benzin und Lebensmittel. Unter dem Schifa-Krankenhaus, der größten Klinik im Gazastreifen, soll sich die Kommandozentrale der Hamas befinden.

Schweres israelisches Geschütz am Rande des Gazastreifens bei Sderot.
Schweres israelisches Geschütz am Rande des Gazastreifens bei Sderot.

Die Sorge um eine Ausweitung des Kriegs hat die Bundesregierung veranlasst, für eine mögliche Evakuierung deutscher Staatsbürger aus dem Nahen Osten zusätzliche Vorkehrungen zu treffen. Inzwischen wurden mehr als 1000 Bundeswehrsoldaten in die Region verlegt, wurde der Deutschen Presse-Agentur in Berlin aus Sicherheitskreisen erklärt. Die überwiegende Zahl sei nun auf Zypern in Bereitschaft. Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) sind nach Jordanien geflogen worden.

Sicherheitskräfte in Tel Aviv sichern die Einschlagstelle einer Rakete aus dem Gazastreifen.
Sicherheitskräfte in Tel Aviv sichern die Einschlagstelle einer Rakete aus dem Gazastreifen.
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