Redefreiheit Kultserie South Park: Anarchische Satire aus Amerika

Der Weihnachtsmann muss weg, der Tannenbaum und die Mistelzweige auch – eine South-Park-Folge spiegelt die US-Debatte um politis
Der Weihnachtsmann muss weg, der Tannenbaum und die Mistelzweige auch – eine South-Park-Folge spiegelt die US-Debatte um politische Korrektheit. Unser Bild zeigt von links nach rechts: Kenny, Eric, Santa Claus, Stan und Kyle.

Die Redefreiheit in den USA erlaubt Fäkalhumor und Grenzüberschreitungen. Die Animationsserie South Park kostet diese Freiheit aus. Eine Würdigung zum 25-jährigen Bestehen.

Was haben Pornografie, Gangsta-Rap und Stand-up-Comedians gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Aber sie brauchen alle Kunstfreiheit. Redefreiheit. Amerikaner tragen das Recht zur freien Meinungsäußerung gerne vor sich her. Schließlich gilt dort schon seit 231 Jahren der Erste Zusatzartikel zur Verfassung, der unter anderem besagt, dass kein Gesetz die Redefreiheit einschränken darf. Anders in Deutschland: Hier galt noch bis 2018 ein Paragraf im Strafgesetzbuch, der die Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten verbot. Immerhin: Nach der Causa Böhmermann-Erdoğan – der deutsche Satiriker schmähte den türkischen Staatschef – wurde er gestrichen.

Auch die US-Animationsserie South Park wäre ohne die Redefreiheit nicht geworden, was sie ist: ein filmisches Kunstprojekt, das seit einem Vierteljahrhundert gesellschaftskritisch und anarchisch – inspiriert übrigens von der legendären britischen Komiker-Truppe Monty Python – ohne jede Scheuklappe die Grenzen des Sagbaren auslotet.

Diese Redefreiheit musste auch in den USA stetig erkämpft werden. Das wussten die beiden Erfinder der Serie, Matt Stone und Trey Parker, als sie 1997 auf Sendung gingen.

Nur zwei Jahre nach dem Start als Cartoon-Serie kam 1999 „South Park – Der Film“ in die Kinos. Sein Plot illustriert, wie Stone und Parker ticken. Es gibt da zwei Angreifer auf die guten Sitten, ein von Kindern geliebtes, aber von Eltern gehasstes Comedy-Duo, das von morgens bis abends furzt: Terrence und Philip. Sie kommen nicht aus den USA, sondern aus Kanada. Im Verlauf des Films bringen aufgebrachte Mütter die US-Politik dazu, wegen ihrer durch die zwei kanadischen Furzköpfe verdorbenen Kinder, einen Krieg gegen das nördliche Nachbarland zu führen.

Ringen um Amerikas Werte

Was sich heute wie ein großer Nonsens anhört, hat einen realen Hintergrund. Der Film nimmt nicht nur den Skandal um sich selbst vorweg („Skandal, so etwas sollte man verbieten!“), sondern ruft einen spektakulären Diskurs über die amerikanische Redefreiheit in Erinnerung. Dieser wurde 1985 vor dem US-Senat geführt, als Ehefrauen hochrangiger Politiker erwirkten, dass fortan Warnhinweise auf Musikerzeugnisse mit anstößigem Inhalt geklebt werden müssen.

 

Anlass war der epochale Erfolg von MTV-Videos von Künstlern wie Madonna oder Prince. So sah unter anderem Tipper Gore, die damalige Frau des späteren Vizepräsidenten Al Gore, ihre Tochter akut gefährdet, weil die Elfjährige Princes Song „Darling Nikki“ hörte, in dem es um Masturbation vor den Fotos eines Magazins geht. Sex, Gewalt, Drogenmissbrauch und Okkultismus würden die heranwachsende Generation verderben, war die Sorge – 1990 schließlich wurden „Parental Advisory“-Etiketten landesweit Pflicht. Sie sind etwa mit der deutschen FSK-Einstufung von Kinofilmen vergleichbar. Zahlreiche prominente Künstler, darunter Frank Zappa, hatten versucht, das zu verhindern, warnten vor Zensur wie im Dritten Reich. Vergebens.

Die Macher von South Park: Matt Stone und Trey Parker. Sie lernten sich schon als Schüler kennen.
Die Macher von South Park: Matt Stone und Trey Parker. Sie lernten sich schon als Schüler kennen.

Dass die neuen Warnhinweise den Reiz des Verbotenen noch steigerten, war so ironisch wie vorhersehbar. Wie die Zeiten sich geändert haben: Madonnas „Like a Virgin“, damals auch im Visier der vermeintlichen Sittenhüterinnen, läuft heute wie selbstverständlich auf öffentlich-rechtlichen Radiosendern wie SWR1.

Kein Kinderprogramm

South Park geriet mit seiner Erstausstrahlung am 13. August 1997 im US-Fernsehen wegen seiner Zoten und Unanständigkeiten sofort ins Visier besorgter Eltern. Denn, obwohl die Clique um Stan, Kyle, Eric und Kenny ihr ganzes Serienleben als Dritt- beziehungsweise Viertklässler verbringen, handelt es sich mitnichten um ein Kinderprogramm. Das betonen auch die beiden Macher Stone und Parker.

South Park allerdings auf juvenile Verunglimpfungen zu reduzieren, wäre zu kurz gesprungen, und Gleiches galt ja schon für die knapp zehn Jahre älteren „Simpsons“. Deren Pionierarbeit als satirische Comicserie wird von South Park in Staffel 6, Folge 7 „The Simpsons already did it“, gewürdigt. „The Simpsons“, genauso unterhaltend wie South Park, wenngleich in ihren satirischen Elementen weniger bissig, gehörten ebenfalls zu einer liberalen Gegenöffentlichkeit, an der sich die US-Konservativen abarbeiteten.

Der damalige konservative US-Präsident George Bush Senior hatte schon 1992 vor religiösen Medienschaffenden erklärt: Er wolle in Amerika die Familie stärken, damit diese mehr wie die Waltons würde und weniger wie die Simpsons. Die Waltons – das war in den 70er-Jahren die TV-Serie schlechthin, in der eine kinderreiche Baptistenfamilie die Widrigkeiten des Lebens mit Gemeinsinn und Zusammenhalt meisterte.

Einfluss strenger Religion

Parker und Stone wuchsen in Colorado unter großem Einfluss des Mormonentums auf. Selbst gehören sie keiner Religion an, widmen den Mormonen eine ganze Folge und später das Musical „The Book of Mormon“. Auf humoristische Weise wird die Entstehungsgeschichte rund um den als Propheten verehrten Joseph Smith erklärt (Staffel 7 / Folge 12). Ebenso blasphemisch wird es bei Scientology, um den Irrsinn dieser Sekte zu zeigen (Staffel 9 / Folge 12). Parker und Stone nahmen dabei den Ausstieg eines der beliebtesten Sprecher in Kauf: Der Soulmusiker Isaac Hayes verlieh dem Schulkantinenkoch in vielen nicht jugendfreien Liedern seine markante Stimme. Aber er konnte nicht akzeptieren, dass nach Juden, Mormonen und Evangelikalen auch die Anhänger von Scientology durch den Kakao gezogen wurden. Die Folge rief Hollywoodstar Tom Cruise auf den Plan, der eine Wiederholung untersagen wollte. Am Ende generierte die Debatte viel mediale Aufmerksamkeit und die Folge wurde wiederholt ausgestrahlt.

Dem Diskurs über politische Korrektheit, welcher eine Debatte über Normveränderungen der Sprache ist, war South Park um Jahre voraus. Bereits in der ersten Weihnachtsfolge ließ die Bürgermeisterin alles aus der Stadt entfernen, was irgendjemanden störte: Santa Claus selbst, Weihnachtsbäume und Mistelzweige. So wurde auch das Krippenspiel in der Grundschule auf Verlangen von Kyles engagierter Mutter gestrichen (die Familie ist jüdisch) und durch ein minimalistisches Theaterstück von Philip Glass ersetzt. Der Komponist beehrt die Kleinstadt in Colorado höchstpersönlich, um die Aufführung seines Dreiakters am Keyboard zu begleiten. Diese sehr gut gealterte Folge (Staffel 1 / Folge 9, „Mr. Hankey, the Christmas Poo“) birgt nicht nur die schöne Ballade „The Lonely Jew on Christmas“, sondern erweitert das Konzept des Fäkalhumors um einen sympathischen Nebendarsteller, Mr. Hankey.

Mit Preisen dekoriert wurden Folgen, in denen mehrere Erzähl- und Handlungsebenen verwoben werden. „Margaritaville“ (Staffel 13 / Folge 3) beschreibt die US-Immobilienkrise von 2007/2008 aus Sicht von Stan, der den teuren „Margarita-Mixer“ seines Vaters zurückgeben will. Dieser Mixer für ein Modegetränk der Arrivierten symbolisiert die Ausgaben, die den Amerikanern mit ihren nicht mehr bezahlbaren Immobilienkrediten über den Kopf gewachsen sind; eine Wirtschaft auf Pump, die irgendwann kollabieren musste.

Die Kreditkarte ohne Limit

Als wäre das nicht genug Plot, erleben die Einwohner South Parks die letzten Tage Jesu Christi. Niemand will mehr an die Wirtschaft glauben, da man wähnt, man habe sie durch übermäßigen Konsum erzürnt: Aller Konsum, Stichwort „Margarita-Mixer“, müsse nun eingestellt werden, damit die Gottheit „Kapitalismus“ die Menschen nicht mehr mit harter Hand bestraft.

Während „Die Simpsons“ oft nur zitiert, generiert South Park eine Fallhöhe, die sich andere Fernsehserien nie trauen würden. Selbst mit antisemitischen Stereotypen wird gespielt: Kyle, der Jude, erlöst am Ende von „Margaritaville“ alle von ihrer Schuld – mit einer Kreditkarte ohne Ausgabenlimit.

Satire bezieht Stellung zu den karikierten Verhältnissen und kann deshalb nie angepasst sein. South Park verweigert regelmäßig erwartbare liberale oder gar linke Positionen. Dem Advokaten des Teufels (und dem Teufel selbst) geben sie viel Platz. Stone und Parker verhindern so vorhersehbare Handlungsstränge. Nicht nur die religiöse Rechte bekommt also regelmäßig ihr Fett ab, ebenso die liberale Elite und der kleine Mann mit seinen Heucheleien. Nicht selten bekriegen sich die Beteiligten wie Asterix und Obelix auf dem Markt, weil der Fisch stinkt. Einer der Protagonisten ist Eric Cartman, der sich stets furchtbar aufführt. Er ist rassistisch, eigennützig und von Missgunst zersetzt. Doch spiegelt das Umfeld sein Verhalten und zeigt, dass sein moralisch schlechtes Verhalten schlecht bleibt.

Trump enttarnt

Eine weitere Grenzziehung findet dann in Staffel 20 statt, die die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten begleitet. Die Moral: Wer im Internet Desinformation, Hass und Hetze verbreitet, hat die Redefreiheit nicht verstanden.

Die Autoren Stone und Parker, mittlerweile über 50-jährig, lassen sich von niemandem vorschreiben, welche Ereignisse sie kommentieren und wie. Ihr Erfolg hat ihnen recht gegeben. Der war übrigens erst möglich, weil die von den US-Konservativen vorangetriebene Liberalisierung des US-Fernsehmarktes Kanäle wie Comedy Central entstehen ließ. Die US-Werbewirtschaft hatte neue Ausspielwege und nutzte sie. Auch Nischensender konnten nun Inhalte über das ganze Land hinweg monetarisieren, jedenfalls in einer Dimension, die es vorher nie gegeben hätte.

Das ganz große Geld

Stone und Parker hatten anfangs durchaus Angst, dass einzelne mächtige Werbetreibende Einfluss auf Comedy Central und ihre Kunstfreiheit nehmen könnten. Der Boykott blieb jedoch aus. Heute verdienen die Macher von South Park mehr denn je. 2021 zeichneten Stone und Parker einen Deal für weitere sechs Staffeln mit Viacom-CBS: 900 Millionen Dollar ist der Vertrag schwer.

Nach all den Debatten könnte man meinen, South Park und das Thema Redefreiheit in den USA seien auserzählt. Dass dem nicht so ist, zeigt sich in der zweiten Folge von Staffel 23: Sie zeigt die Hässlichkeit des Kotaus der US-Filmindustrie vor den chinesischen Zensoren. Hollywood will Geld verdienen und nimmt immer öfter Chinas Einfluss auf Drehbücher in Kauf. Das konnte nicht unkommentiert bleiben. Der Titel der Folge nahm die Konsequenz dieser Kommentierung vorweg: „Band in China“ klingt wie „Banned in China“, also „Verbannt in China“. Einen Wimpernschlag nach der Veröffentlichung wurde in China alles, was mit South Park zu tun hat, verboten.

Wo kann man South Park sehen?

Comedy Central Deutschland strahlt regelmäßig Folgen aus. Unter www.southpark.de kann man kostenlos alle Folgen auf Deutsch und auf Englisch ansehen. Wer die Werbeunterbrechungen umgehen möchte, kann ganze Staffeln auf DVD bzw. BluRay oder auch einzelne Folgen beispielsweise auf YouTube kaufen.

Folgentipp des Autors:

Staffel 24, Folge 2: „South ParQ Vaccination Special“. 45 leichtfüßige Minuten, in denen der letztjährige Verteilungskampf der Impfreihenfolge mit den Verschwörungsfantasien von QAnon verknüpft werden. Eine Folge, die die in vielen US-Medien vorherrschende Gleichbehandlung von Fakten und persönlicher Wahrnehmung auf's Korn nimmt. Sie stellt im utopischen Finale die immer noch gültige Frage: kann es ein Zurück zu präpandemischen Zeiten geben?

Hier geht’s zur deutschen Folge

Hier geht’s zur englischen Folge

x