Rheinland-Pfalz Vision oder frommer Wunsch?

Perl. Ein Nachmittag im „Dreiländergrill“ im saarländischen Perl. Hier, wo die Grenzen Deutschlands, Luxemburgs und Frankreichs aufeinandertreffen, scheint die Vision der saarländischen Landesregierung schon verwirklicht. Bei den Gästen mischen sich deutsche und französische Töne, die Kellnerinnen wechseln zwischen „bitteschön“ und „s’il vous plaît“, und der Wirt sucht in zweisprachigen Aushängen neues Personal. Doch schon hundert Meter weiter, in der Dorfmitte, endet die Idylle. Dort spricht man deutsch, nur deutsch. Bei der Frage nach Französischkenntnissen erntet man Lachen und Kopfschütteln. Und ein älterer Mann zitiert einen alten Vers aus der Besatzungszeit: „Voulez vous mit mir promener auf der schönen Baumallee? Non Monsieur, das kann nicht être, denn Mama steht am fenêtre.“ Über solch spärlichen Kenntnisse ist die Masse der Saarländer nie hinausgekommen. „Nirgendwo wird so schlecht französisch gesprochen wie im Saarland“, spottet der Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, Peter Balnis. „Wir können nur französisch essen.“ Die Landesregierung will das ändern, und zwar innerhalb einer Generation. Wer heute geboren wird, soll als 30-Jähriger Französisch beherrschen, überall zweisprachige Schilder sehen und auf Lehrer, Polizisten und Verkäuferinnen treffen, die mühelos von einer Sprache in die andere wechseln. „Das Saarland ist das Tor zu Frankreich“ heißt es im Eckpunktepapier. „Dieses Alleinstellungsmerkmal müssen wir nutzen.“ Weil für entsprechende Investitionen aber das Geld fehlt, will die Landesregierung vor allem Ansätze ausbauen, die es bereits gibt. Es soll mehr deutsch-französische Kindergärten geben, mehr bilinguale Klassen an den Gymnasien, Französisch als Unterrichtsfach an allen Grundschulen. Und wer bei der Landesverwaltung arbeiten will, muss in Zukunft Französischkenntnisse nachweisen, dann steigen seine Einstellungschancen. Bei der Frage, wie die großen Pläne umgesetzt werden sollen, bleibt das Konzept der Regierung allerdings vage. Sie erhofft sich Rat von Institutionen und Verbänden, spricht von Ansätzen, die ausgestaltet werden müssen und umgeht das Problem, wie die kommende Generation perfekt deutsch und französisch sprechen und noch die internationale Verkehrssprache Englisch lernen soll. In der rauen Gegenwart entscheiden sich nämlich achtzig Prozent der saarländischen Schüler für Englisch als erste Fremdsprache. Französisch ist nicht auf dem Vormarsch, sondern auf dem Rückzug. „Die Bereitschaft, Französisch zu lernen, geht zurück“, konstatiert auch die saarländische Industrie-und Handelskammer. Jenseits der Grenze sei es noch schlimmer. Immer weniger Schüler seien bereit, Deutsch zu lernen. Vor diesem Hintergrund hält der GEW-Vorsitzende Balnis die Ziele der Landesregierung für „utopisch“. Die Konzentration aufs Französische werde allenfalls zu einer Überforderung der Schüler führen. Balnis verweist auf die vielen Kinder mit Migrationshintergrund, die dann etwa mit Türkisch, Deutsch, Englisch und Französisch vier Sprachen beherrschen sollten. „Das geht nicht“, sagt Balnis. „Englisch ist die Nummer eins. Wenn die Schüler das gut können, ist schon viel erreicht.“ So haben es auch Eltern in Baden-Württemberg gesehen. Dort ist eine ähnliche Initiative wie die der saarländischen Landesregierung an ihrem Widerstand gescheitert: Sie fürchteten um die Englischkompetenz ihrer Kinder. Auch in Rheinland-Pfalz bleibt man bescheiden. Dort liegt Englisch nach Auskunft des Bildungsministeriums im Unterricht „ganz klar vor Französisch“. 87 Prozent der Gymnasiasten entscheiden sich für Englisch als erste Fremdsprache, für Französisch nur sieben Prozent. So wird es wohl auch bleiben. Denn ähnlich hochfliegende Pläne wie im Saarland „gibt es in Rheinland-Pfalz so nicht“, konstatiert das Bildungsministerium in Mainz. Und noch etwa spricht dagegen, dass die Träume der Saar-Regierung jemals Wirklichkeit werden. Das Saarland hat kein Geld, die Kassen sind leer. „Wer soll denn den tollen Französischunterricht geben, wenn an den Schulen nur gespart wird?“, fragt der ehemalige Bildungsminister Klaus Kessler von den Grünen. In den nächsten sechs Jahren sei der Abbau von 600 Lehrerstellen geplant. Auch im Eckpunktepapier der Landesregierung wird immer wieder betont, man wolle das Französische „im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten“ fördern. Kessler kennt diese Möglichkeiten auch und nennt daher das ehrgeizige Programm der Saarbrücker Staatskanzlei „einen frommen Wunsch und eine schöne Vision und unter den gegebenen Bedingungen einfach nicht machbar.“ Nur weil das Saarland zufällig an der Grenze zu Frankreich liegt, wird es ebenso wenig zweisprachig wie die Pfalz – so jedenfalls ist die erste Reaktion der Verbände auf die Pläne der Landesregierung. Die ehrenwerte Initiative scheint also genau so zum Scheitern verurteilt wie ähnliche gut gemeinte Anläufe in der Vergangenheit. Im Moment sieht es eher so aus, als ob in 30 Jahren die meisten Saarländer nur Französischkenntnisse aufweisen können, die auch alte Pfälzer noch drauf haben: „Le boeuf – der Ochs, la vache – die Kuh, fermez la porte – mach’s Türchen zu.“

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