Rheinland-Pfalz RADAR-iTE: Neues Bewertungsverfahren für Gefährder

Die Mannheimer Omar Al-Faruq-Moschee ist ein beliebter Treffpunkt vorderpfälzischer Salafisten.
Die Mannheimer Omar Al-Faruq-Moschee ist ein beliebter Treffpunkt vorderpfälzischer Salafisten.

Mainz. Seit 2012 steigt in Deutschland laut Bundeskriminalamt die Anzahl der gewaltbereiten Salafisten. Im Landeskriminalamt in Mainz nutzen die Ermittler seit rund einem Jahr ein neues Analyseverfahren. Es wurde mit Wissenschaftlern entwickelt und soll dabei helfen, Gefährder rechtzeitig zu bewerten. So soll Schlimmeres verhindert werden.

Die Szene hat sich in die Erinnerung vieler eingebrannt: Am 9. September 2001 entführen islamistische Terroristen vier Flugzeuge. Zwei Maschinen steuern sie in das New Yorker World Trade Center. Tausende sterben dabei. Den Anschlag nehmen die deutschen Behörden zum Anlass, sich intensiver als zuvor mit dem Phänomen des islamistischen Terrorismus zu befassen.

Frühzeitige Erkennung der Gefährder

Und das ist leichter gesagt als getan. Schließlich existiert in Deutschland nicht nur ein Geheimdienst, der die Szene in den Blick nimmt. Vielmehr existieren in jedem Bundesland spezielle Behörden, die für die Beobachtung der Extremisten verantwortlich sind. Hinzu kommt: Potenzielle Terroristen scheren sich wenig um die Grenzen des deutschen Föderalismus. Seit vergangenem Sommer steht den Bundesländern nun ein neues einheitliches System zur Verfügung. Offiziell heißt es: regelbasierte Analyse potenziell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos – islamistischer Terrorismus, oder kurz: RADAR-iTE. Hinter dem Wortungetüm verbirgt sich ein kriminalistisches Werkzeug, das den Ermittlern helfen soll, Gefährder frühzeitig zu erkennen. Das System stuft die Personen in eine dreistufige Skala ein. Diese unterscheidet zwischen einem hohen, einem auffälligen und einem moderaten Risiko.

Mehrere Instrumente für Straftäter-Bewertung

Das Landeskriminalamt (LKA) in Mainz hält sich sehr bedeckt, was die Arbeit mit RADAR-iTE angeht. Aber die Verantwortlichen geben zu erkennen, dass RADAR-iTE für sie nicht das Instrument schlechthin sei, sondern eines von vielen, das dabei helfe, islamistische Straftäter zu bewerten. Wie viele Personen das LKA im vergangenen Jahr unter die Lupe von RADAR-iTE genommen hat, will die Behörde nicht sagen. Allerdings seien nur Personen, die „mit hoher Wahrscheinlichkeit relevant für uns sind“ mit dem neuen System überprüft worden. Konkret bedeutet das, nicht jeder Hinweis aus einer Flüchtlingsunterkunft, dass der Zimmernachbar in den Islamismus verstrickt sein könnte, führe automatisch zu einer Gefährderbewertung via RADAR-iTE. Dafür sei das Verfahren schlicht zu aufwendig, informiert das LKA. Für die Sicherheitsbehörde müssen konkrete Erkenntnisse vorliegen, dass sich eine Person in islamistisch-salafistischen Zusammenhängen bewegt. Ohne diese Anhaltspunkte komme es nicht zur Überprüfung mit RADAR-iTE.

Ab neun Punkten große Gefahr

Das Programm arbeitet dann mit standardisierten Kriterien. So gucken die Ermittler in Mainz beispielsweise, ob der Verdächtige schon einmal gewalttätig aufgefallen ist, Waffen besitzt oder bestimmte Moscheen besucht. Näheres wollen die Verantwortlichen dazu nicht sagen Nach Informationen der RHEINPFALZ basiert die Klassifizierung auf einem Punktesystem. Ab neun Punkten diagnostizieren die Ermittler eine große Gefahr, dass die Person in Deutschland ein Attentat ausübt. Rund 50 Fragen arbeiten die Beamten ab, bevor sie zu einem Ergebnis kommen. Dabei greifen sie auf bereits vorhandenes Material zu und erstellen eine sogenannte Fallchronologie. In die fließen sämtliche Erkenntnisse über eine verdächtige Person, auf die die Behörden Zugriff haben. Dazu gehören etwa die Ausländerakte, aber auch der Blick ins Vorstrafenregister. Die Ergebnisse von verdeckten Maßnahmen werden zudem verarbeitet. Es spielt ebenfalls eine Rolle, ob die Zielperson eine Moschee besucht, in der etwa ein Imam tätig ist, der im Verdacht steht, junge Menschen zu radikalisieren. Vorderpfälzer Islamisten und Salafisten besuchen nach Informationen der RHEINPFALZ beispielsweise immer wieder die Mannheimer Omar Al-Faruq-Moschee. Der dortige Imam fungiert laut baden-württembergischen Ermittlern als Kontaktperson zu radikalen Kreisen.

Zwei Wochen für Bewertung

Es existieren offenbar auch Kriterien, die sich positiv auf die Bewertung der Verdächtigen auswirken. Dazu kommt es etwa, wenn sich die Person von früher Gesagtem distanziert. Für die Bewertung all dieser Punkte können durchaus zwei Wochen ins Land ziehen. Wie viele Beamte im Mainzer Landeskriminalamt mit der Arbeit betraut sind, will die Behörde nicht sagen. Fest steht: RADAR-iTE wurde ab 2015 vom Bundeskriminalamt (BKA) und der Universität Konstanz entwickelt. Dabei ging es laut BKA sowohl um methodische Aspekte als auch die Qualitätssicherung des Instruments. Im Laufe der Entwicklung von RADAR-iTE erstellten die Forscher auch eine empirische Studie. Das BKA bewertet sie als Beleg der „wissenschaftlichen Güte des Instruments“.

Telefonüberwachungen und verdeckte Observationen

Aus dem Mainzer LKA heißt es, dass neben der Arbeit mit RADAR-iTE der Austausch mit anderen Sicherheitsbehörden unter anderem im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern in Berlin wichtig ist. Bei Arbeitstreffen werde intensiv über potenzielle Gefährder gesprochen. Nach dem Austausch im Kollegenkreis steht eine gemeinsame Bewertung. In deren Folge wird auch verabredet, wie es aus ermittlungstechnischer Sicht mit dem Gefährder weitergeht. Das können vergleichsweise einfache Konsequenzen wie etwa die Ansprache der Person durch geschulte Beamte sein, aber auch drastischere Maßnahmen bis hin zur Telefonüberwachung oder der verdeckten Observation haben die Ermittler im Repertoire. Für letztere sind jedoch richterliche Beschlüsse notwendig. Und: Aus Sicherheitskreisen hat die RHEINPFALZ erfahren, dass es dabei gar nicht so selten vorkommt, dass die Richter ihr Veto einlegen.

Zu oberflächlich und fehlerhafte Gewichtung

In diesen Fällen fehlt es bisweilen meist an belastbarem Material, das einen Eingriff in die Grundrechte eines Verdächtigen erlaubt. Abseits dessen gibt es auch Kritik an RADAR-iTE. Ein Vorwurf: Das System sei zu oberflächlich. Andere Kritiker machen darauf aufmerksam, dass die Gewichtung der einzelnen Punkte nicht stimme. Zur Kritik will sich das LKA nicht äußern. Außerdem verweist die Behörde darauf, dass die Beamten für den Umgang mit RADAR-iTE eigens geschult werden und nie nur ein einziger Ermittler entscheide, ob eine Person als Gefährder zu charakterisieren sei.

Unterschiedliche Herkünfte

Detaillierte Angaben zu den in Rheinland-Pfalz als Gefährder identifizierten Männern und Frauen nennt das LKA nicht. Nur soviel: Es befänden sich darunter sowohl deutsche Konvertiten als auch Deutsche mit Migrationshintergrund, arabischstämmige Menschen, Türken, Nordafrikaner und Bürger, die aus den sogenannten Satellitenstaaten der ehemaligen UdSSR stammen.

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