Rheinland-Pfalz „Müssen uns mit der Gewalt auseinandersetzen“

Vor zehn Jahren wurde in Rheinland-Pfalz das Islamforum gegründet. Die regelmäßigen Treffen zwischen Christen und Muslimen haben gesellschaftlich und politisch einiges bewegt. Mit dem Islambeauftragten der Evangelischen Kirche der Pfalz, Pfarrer Georg Wenz, sprach Petra Depper-Koch über Möglichkeiten und Grenzen des interreligiösen Dialogs.

Herr Wenz, sind Sie als Geschäftsführer des Islamforums mit dem bisher Erreichten zufrieden?

Ja. Das Forum hat viel verändert. In Rheinland-Pfalz läuft der interreligiöse Dialog zwischen Christen und Muslimen recht gut. Wir haben uns regelmäßig getroffen und offen über unsere unterschiedlichen theologischen Auffassungen gesprochen, aber auch über all das, was dazugehört, wenn man seine Religion im Alltag lebt. In Kürze sollen fünf muslimische Organisationen vom Land als Religionsgemeinschaften anerkannt werden. Auch diesen Prozess haben wir kritisch begleitet. Welche Verbände sind das? Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, Schura Rheinland-Pfalz, ein islamischer Landesverband, dem etwa 15 Moscheegemeinden angehören, VIKZ, der Verband der Islamischen Kulturzentren, die Alevitische Gemeinde und Ahmadiyya, eine muslimische Splittergruppe aus Pakistan mit eigenem Kalifen. Mit welchen Themen hat sich das Islamforum befasst? Anfangs stand die Weltpolitik im Mittelpunkt. Der Schock nach den Terroranschlägen in New York, Madrid und London saß tief. In erster Linie ging es aber um praktische Fragen des Zusammenlebens von Christen und Muslimen. Wissenschaftler und Vertreter der beiden großen Kirchen sowie muslimischer Organisationen diskutierten unter anderem über den Islamunterricht, den Bau von Moscheen, den Karikaturenstreit und islamisches Bestattungsrecht. Die Religion spielt in viele gesellschaftliche Bereiche hinein. Hat der Dialog im Forum das gegenseitige Verständnis gebessert? Wir kennen jetzt unsere Positionen sehr genau. Um die Anfragen zu beantworten, mussten wir uns mit dem eigenen Glauben und der fremden Religion auseinandersetzen. Dabei hat sich gezeigt, dass unsere theologischen, gesellschaftlichen und politischen Auffassungen teilweise sehr unterschiedlich sind. Die Gesellschaft muss lernen, mit diesen Unterschieden zu leben. Grundsätzlich besteht noch erheblicher Bedarf, sich interreligiös kennenzulernen. Es gibt viel zu wenig gemeinsame Aktionen. Man müsste Wandertouren und Grillfeste organisieren, um Christen und Muslime häufiger an einen Tisch zu bekommen. Ein gelungenes Beispiel ist Iftar. Was ist das? Eine Einladung zum Fastenbrechen während des Ramadan. Muslime laden abends Freunde, Bekannte und Nachbarn ein, um gemeinsam ein leckeres Festmahl zu genießen. Seit einigen Jahren werden dazu häufiger auch Christen eingeladen, damit sie diese Tradition kennenlernen. Sonntags beten wir für den Weltfrieden. Vielerorts wird aber Krieg geführt im Namen der Religion. Glauben Sie, dass der interreligiöse Dialog daran etwas ändern kann? Darauf baue ich. Um das Friedenspotenzial der Religionen auszuschöpfen, müssen wir uns mit der Gewalt auseinandersetzen. Wir können nicht so tun, als wäre Religion gewaltfrei. Islamisten legitimieren die Gewalt aus der Religion heraus. Das Gleiche tun auch christliche Milizen im Kongo, die dort unschuldige Menschen abschlachten. Angesichts der weltweiten religiösen Konflikte muss Sie doch allmählich die Verzweiflung packen, oder? Nein. Es gibt ja doch Fortschritte. Trotz aller Rückschläge geht es in kleinen Schritten voran. Man muss ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern – das hat der Ludwigshafener Philosoph Ernst Bloch gesagt. Dieses Zitat finde ich ermutigend. Wie fällt Ihr Fazit als Islambeauftragter nach zehn Jahren im Forum aus? Die Probleme sind längst nicht gelöst, aber wir sind auf einem guten Weg. Zu klären sind praktische Fragen. Ob zum Beispiel die Friedhofssatzungen geändert werden sollten, um islamische Bestattungen zu vereinfachen. Wir müssen aber auch über Krankenhaus- und Notfallseelsorge sprechen und Beratungsstellen aufbauen für Familien, deren Söhne oder Töchter sich radikalisiert haben. Extremismusprävention wird immer wichtiger. Aus dem Islamforum soll jetzt ein Forum der Religionen werden. Warum? In Zukunft muss es vermehrt um interkulturelle und gesamtgesellschaftliche Fragen gehen. Auch andere Religionsgemeinschaften sollen ihren Platz im Forum finden.

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