Rheinland-Pfalz Der Weihnachts-Winnetou

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Dass Winnetou auch zur Weihnachtszeit reitet, ist an sich nichts Ungewöhnliches. Vor einem Jahr brachte der TV-Sender RTL zwischen Heiligabend und Silvester eine dreiteilige Neuverfilmung des Karl May-Stoffes in die Wohnzimmer. Indianergeheul und Pulverdampf mischten sich da zwischen Zimtsterne und Kerzenschein. Das ist die Fernsehgemeinde ja fast schon gewohnt. Eine ganz besondere Blutsbrüderschaft wurde jedoch jetzt zur Adventszeit auf der Freilichtbühne Mörschied im Hunsrück geschlossen. Winnetou und Nikolaus standen dort Seit an Seit – warum auch nicht, mit seinem roten Mantel könnte Nikolaus glatt als Rothaut durchgehen. Anlass für den Auftritt des vermeintlich ungleichen Duos war ein großes Adventssingen an der Freilichtbühne, die dafür extra für einen Abend aus dem Winterschlaf geholt worden war. In Rheinland-Pfalz haben sich gleich zwei Freilichtbühnen dem Indianerleben à la Karl May verschrieben: In Mörschied wird schon seit 1990 Wilder Westen gemimt, seit 2001 reitet Winnetou auch im Landkreis Trier-Saarburg. Dort brachten die „Karl May Freunde Pluwig“ diesen Sommer mit viel Pyrotechnik „Old Surehand“ auf die Bühne, in Mörschied wurde diesmal „Das Tal des Todes“ gegeben. Und in dessen schauriger Westernstadt-Kulisse stimmten jetzt die rund 800 Besucher, die zum gemeinschaftlichen Adventssingen gekommen worden, „Alle Jahre wieder an“. Für den Mörschieder Winnetou-Darsteller Eric Nisius ist das alles kein Widerspruch: „Winnetou hat natürlich die Botschaft von Frieden, Freiheit und auch der Gleichheit aller Menschen auf diesem Planeten. Wenn man da an Weihnachten ein bisschen daran denkt, dann ist man ganz nah auch am Winnetou, das ist klar.“ Nisius muss es wissen: Bereits seit 2011 verkörpert der Malermeister jede Saison mit Herz und Seele den edlen Indianerhäuptling, zuvor hatte er kurioserweise zwei Jahre lang dessen Vater Intschu-tschuna gespielt. Bei so viel Familiensinn kann kaum etwas schief gehen; deshalb fand der Nisius-Winnetou auch in der Weihnachts-Westernstadt die richtigen Worte: „Kommt zu mir Kinder, herzlich willkommen an den Lagerfeuern der Apachen.“ Das klingt doch im Nachhinein fast wie „Ihr Kinderlein kommet“. In der Tat: Hätte nicht Winnetou Schwarzhaar-Perücke und Indianer-Fransenhemd getragen und der Nikolaus nicht seinen langen Mantel angehabt, man hätte an diesem Abend wohl kaum gewusst, wer nun wer ist. Natürlich verteilten die beiden auf der Freilichtbühne Geschenke an die Kinder. Old-Shatterhand-Darsteller Hans-Joachim Klein verkaufte dagegen unterdessen geschäftstüchtig Eintrittskarten für die Karl-May-Festspiele 2018: Ab Juni steht dann „Winnetou II“ auf dem Spielplan. Dann wird auf dem Freilichtbühnen-Areal vermutlich wieder ordentlich geballert, gesprengt und gerauft – solange bis die Guten die Schurken zur Strecke gebracht haben. Ganz ohne Feuerzauber blieb allerdings auch die Winnetou-Weihnacht nicht: Auf der Bühne war ein 15 Meter großer Adventskranz aufgebaut, aus vier wuchtigen Fässern loderten die Flammen – das erinnerte dann doch eher an Karl Mays „Der Ölprinz“ und weniger an eine stille Nacht. Vielleicht sollten sich die Mörschieder bei ihrem nächsten Adventssingen mal die richtigen weihnachtlichen Seiten von Karl May aufschlagen. 1897 war dessen Roman „Weihnacht!“ erschienen, es ist Band 24 der Gesammelten Werke. Die Geschichte beginnt im verschneiten Böhmen und endet in den winterlichen Rocky Mountains, wo Old Shatterhand und Winnetou gemeinsam mit den Schoschonen das Weihnachtsfest feiern. Sogar eine Bescherung gibt es: „Nun wurden die Nuggets herausgeholt und unter dem Weihnachtsbaume nach Winnetous Anordnung in vier gleichgroße Haufen zerlegt. Dann zündeten wir die Lichter an.“ Und schließlich wird „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen. Das ist großes, anrührendes Kino, die weihnachtliche Erlöserbotschaft begleitet die Abenteurer in dem Buch von der ersten bis zur letzten Seite. Stoff genug also, für das nächste „offene Adventssingen bei Karl May“ in Mörschied. | Rolf Schlicher

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