Rheinland-Pfalz Auf Stock und Stein

Wie und wo lässt sich die Pfalz am besten genießen? „Beim Wandern“, „Auf einer Dorfkerwe“, „In gemütlicher Runde auf einem Weinfest“, werden viele antworten. Aber wer es mit einem Picknick in der Natur probiert, erlebt die Pfalz auf ganz intensive Art. RHEINPFALZ-Redakteur Rolf Schlicher hat es zusammen mit Hedwig Herberger und Rainer Gumpp ausprobiert.

Rund 500 Wasserfälle sind in Deutschland erfasst. Rekordhalter außerhalb der Alpen ist der Triberger Wasserfall im Schwarzwald. Über 163 Meter stürzt dort die Gutach in die Tiefe. Laut, herrisch aufschäumend. Die Wasserfälle in der Pfalz lieben es gemächlicher. Viel gemütlicher. Sie gluckern gerne verhalten, ihr Sprudeln ist ein Säuseln. Drei Wasserfälle aus der Pfalz haben es in die offiziellen Ranglisten geschafft: Die Kaskade am Teufelsfelsen im Atzbachtal bei Pirmasens, die kleinen Fallstufen der Karlstalschlucht hinter Trippstadt und der Wasserfall in der Elendsklamm bei Bruchmühlbach-Miesau. Beim Abstieg in diese Felsschlucht verschwindet die Außenwelt mit jedem Schritt, mit jeder Stufe ein Stück mehr: die störenden Windräder, die es inzwischen auch bei Bruchmühlbach gibt – aus dem Blick, aus dem Sinn. Die nahe Autobahn – schon vergessen. Die Gerüche vom Schnellimbiss im Ort – fortgeblasen und weggewischt. Hedwig, Rainer und Rolf haben bei ihrer Suche nach den schönsten Picknick-Plätzen der Pfalz ein weiteres Kleinod entdeckt. „Puh, wie bizarr“, sagt Hedwig. In der Tat: Dieses Westpfälzer Naturdenkmal ist eine richtige Klamm. Eng, felsig, schattig. Die Verbindungen nach draußen sind dort unten gekappt. Mit einer Ausnahme: Der Himmelstreifen über der Schlucht ist so etwas wie die Garantie, dass man am Ende dieses Ausflugs wieder in das gewohnte Leben zurückfinden wird. Durch die Elendsklamm fließt der Frohnbach. Vor Urzeiten soll er ein reißender Fluss gewesen sein und diese Schlucht in den Buntsandstein gefräst haben. Heute plätschert er nur noch. Über viele Stufen und Kanten schwappt der Bach von der Sickinger Höhe ins Tal. An einer Stelle nimmt er in einem Ruck eine etwa zwei Meter hohe Stufe. Der Wasserfall. „Damit steht er vermutlich auf Platz 475 in der Wasserfall-Liste“, sagt Rolf. Rainer, wie immer eine Prise skeptischer, korrigiert: „Eher Platz 483.“ Doch der Rang ist unerheblich. Die Elendsklamm funktioniert wie ein Kaleidoskop: Felsrillen, Brauntöne, feuchte Schlieren fächern sich zu immer neuen Kompositionen auf. Wenn einmal ein Sonnenstrahl bis ganz zum Grund hinunter findet, glitzern die nassen Felsen sofort silbrig. Forstwirtschaft findet hier nicht statt, die Natur bleibt sich selbst überlassen. Totholz liegt sperrig umher, die modrigen Stämme machen die Klamm noch enger. Diese Nischen sind Biotop und Rückzugsraum, Feuersalamander sowie allerlei Moose und Flechten sind dort zu Hause. Wer diese Schlucht nicht schneller als der Frohnbach durchrauschen will, nimmt am besten einen Sitzstock mit. Denn Bänke und Tische gibt es dort nicht, die Stufen der steilen Treppen sind feucht und ungastlich. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich den noch einmal brauchen würde“, sagt Rainer lachend, als er seinen Stock aufklappt. Es ist ein altes Stück mit Patina. Er hat es von seinem Schwiegervater, der Förster war. „Mein Opa hatte auch einmal so ein Ding“, sagt Rolf, „als Kind kam mir der immer unheimlich schwer und unpraktisch vor.“ Früher spielte das Gewicht keine große Rolle, Sitzstöcke waren oft für Jäger gedacht. Bei ihnen kam es vor allem darauf an, dass sich der Sitz geräuschlos ausklappen ließ. Heutzutage haben solche Stöcke mitunter echte Hightech-Qualitäten: wenige hundert Gramm leicht, bequem und mit raffinierten Klappmechanismen. Deshalb sind Sitzstöcke auch häufig in Museen anzutreffen: Besucher wandern damit durch Ausstellungen und machen an besonders interessanten Stellen Sitzpausen. Die Elendsklamm ist ein Naturmuseum. Die Bilder hängen überall in den Felswänden. Als Sitzstöcke braucht man bei diesem Rundgang eher die stabilen, kernigen Exemplare. Der richtige Platz für die Picknick-Pause findet sich erst am Ende der Schlucht. Dort liegt ein dreieckiger Felsklotz neben dem Bachbett. Die Rucksäcke werden ausgepackt. „Bayerische Brotzeit“, hatte Hedwig vorgeschlagen, als es darum ging, was zu einem Klamm-Picknick am besten passt. Vielleicht dachte sie dabei daran, dass die meisten deutschen Wasserfälle in Bayern zu finden sind. Wie auch immer, das Ergebnis sind Weißwurstsalat, Semmelknödelsalat, Weißkrautsalat. Dazu Brezeln und ein Rheingönheimer Weizenbier. „Esstechnisch sehr simpel, aber ziemlich gut“, meint Rainer. Das Bachgeplätscher hört sich plötzlich fast wie ein genießerisches Schlürfen an. Denn es ist nicht wirklich simpel. Das Dressing für den Weißwurstsalat hat Rainer aus drei verschiedenen Senfen kombiniert, bei dem Semmelknödelsalat sind es ebenso viele Essige. Die Apfelnote überwiegt. Vielleicht liegt es am Ort, dass Hobbykoch Rainer weiter tiefstapelt: „Das ist ein Resteessen.“ Zu dessen Abschluss das Pfälzer Tischleindeckdich sogar noch einen Quetschenkuchen auffährt. Beim Griff nach einem zweiten Stück kippt Rolf fast zur Seite. „Vorsicht“, ruft Hedwig. Das Sitzen auf einem Sitzstock will gelernt sein – am besten man bleibt dabei immer mit beiden Beinen auf dem Boden. Wer an diesem Ort wie beim Oktoberfest schmaust, dem kommt der Name der Schlucht recht unpassend vor. Elendsklamm? Doch unten in Bruchmühlbach kann man sich aufklären lassen. An armselige, elende Lebensumstände haben die Altvorderen dabei nicht gedacht. Die Klamm hat ihren Namen vielmehr von dem althochdeutschen Wort „Alilende“. Was so viel wie „im Fremden“, „im Grenzland“ bedeutet. Die Chroniken bezeugen, dass die Elendsklamm eine bedeutende Grenze war: Im Mittelalter stießen hier die Grafschaften Worms-, Nahe- und Bliesgau zusammen, das galt auch für die Diözesen Metz, Mainz und Worms. In der Feudalzeit verliefen die Grenzen der Freigrafschaft Sickingen, der Pfalz Zweibrücken und der Kurpfalz durch die Elendsklamm. So gesehen, gewinnt auch der Wasserfall in dieser Schlucht, wenn nicht an Höhe, so doch an Größe und Bedeutung. Nur Rang 483? Von wegen! Rolf sagt: „Das ist unser Wasserfall Nummer 1.“ Rainer widerspricht nicht. Die drei Freunde schauen hoch, der Streifen Himmel weist den Weg. Zurück ins Licht und an die Sonne. Aber auch zurück in den Alltag. Zu Windrädern, Imbissbuden und Autobahnen(ros)

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