Rheinland-Pfalz 107 Seiten zur eigenen Entlastung

Wollte Mineralöl- und Fischzucht-Geschäfte im Irak machen: der 49-jährige Angeklagte.
Wollte Mineralöl- und Fischzucht-Geschäfte im Irak machen: der 49-jährige Angeklagte.

«Frankenthal.» Er gilt als Chef eines Mörder- und Erpresser-Trios, doch er selbst beschreibt sich als Opfer: Stundenlang haben Richter in Frankenthal gestern vorgelesen, was ein 49-Jähriger über seine Rolle beim gewaltsamen Tod zweier Unternehmer schreibt. Allerdings passt nicht alles in der 107-Seiten-Erklärung zu dem, was der Angeklagte bislang im Prozess gesagt hat.

Am 6. Januar 2017 saß der 49-Jährige mit seiner Freundin in einem Mannheimer Asia-Restaurant. Bis ein Kellner an denn Tisch der beiden kam und sie darum bat, eine Parkscheibe in ihr Auto zu legen. Was gleich darauf passieren würde, will der frühere Betreiber einer Frankenthaler Wellness-Oase bereits geahnt haben: Kaum war er am Wagen, stürzten sich bewaffnete und maskierte Polizisten auf ihn. Schließlich war am gleichen Tag bei Bad Dürkheim die Leiche des Ludwigshafener Bauunternehmers Ismail Torun gefunden worden. In dessen mit einem Mord endende Entführung war der 49-jährige Türke ebenso verstrickt wie wenige Wochen zuvor in den Fall eines Automatenaufstellers aus dem badischen Brühl, der ebenfalls erdrosselt wurde. Mittlerweile steht der Angeklagte deshalb in Frankenthal vor Gericht – gemeinsam mit zwei ebenfalls türkischstämmige Komplizen, einem 38-Jährigen mit engen Beziehungen nach Bad Dürkheim und einer 43-jährigen Stuttgarterin. Diese beiden haben in Vernehmungen als den eigentlichen Haupttäter den 49-Jährigen beschrieben. Er selbst allerdings will zum Mitmachen gezwungen worden sein. Wie es dazu gekommen sein soll, hat er den Richtern auf 107 dicht beschriebenen Seiten dargelegt. Nun lesen die Juristen stundenlang und abwechselnd vor, was er über seine in Kriegswirren gescheiterten Mineralöl- und Fischzucht-Geschäfte im Irak berichtet. Und über seine angebliche Vergewaltigung durch den 38-Jährigen, die jener filmen ließ. Schließlich habe der Mitangeklagte zu einer „Bande“ gehört, die Straftaten aller Art beging: Drogenhandel, Menschenschmuggel, Entführungen. Die mysteriöse Verbrecher-Truppe, behauptet der Frankenthaler, habe ihn immer wieder mit dem demütigenden „Sex-Video“ unter Druck gesetzt. Und mit Todesdrohungen: Er selbst, seine Freundin und sein in Berlin lebender Bruder würden sterben, wenn er nicht endlich seine angeblichen Schulden von 400.000 Euro zurückzahle. Nur deshalb, beteuert er, habe er bei den Entführungen mitgemacht – als „erstes Opfer“. Und als bloßer Befehlsempfänger. Und als Saboteur, der heimlich für Komplikationen gesorgt, so zwei weitere potenzielle Opfer gerettet habe. Toruns Schicksal wiederum will der Frankenthaler wenigstens gelindert haben: Er sei zum Beispiel dazwischengegangen, als der 38-Jährige nach einer Rangelei weiter auf den Geschäftsmann einprügeln wollte. Doch vor dem Schlimmsten habe er den Unternehmer nicht bewahren können. Unter anderem, weil er selbst bewacht wurde: von zwei ihm unbekannten Mitgliedern der „Bande“, die allerdings stets maskiert gewesen seien. Weshalb er nur etwas über ihre Statur sagen könne. Und berichten, dass der eine stets gehustet und der andere stets geschnieft habe. Überhaupt, der 49-Jährige beschreibt jede Menge Einzelheiten: wer wann was zu Essen holte. Oder wer im Auto wann welche Musik hören wollte. Oder wie oft er den in einem Mannheimer Hinterhof-Lagerhaus gefangenen Torun auf die Toilette führte. Solche scheinbaren Nebensächlichkeiten nennen Juristen Realkennzeichen. Denn üblicherweise gelten sie als wichtiger Beleg dafür, dass jemand sich nicht einfach eine für ihn nützliche Geschichte ausgedacht hat, sondern dass da ein Mensch über Geschehnisse spricht, die er tatsächlich so erlebt hat. Doch wenn jemand mit der Detail-Fülle übertreibt, kann auch der gegenteilige Eindruck entstehen – zumal, wenn sich dann auch noch Widersprüche auftun. Im vergangenen Dezember hatte der 49-Jährige behauptet, er besitze ein zwei Minuten und 17 Sekunden langes Video, das zeigt, wie Torun erdrosselt wird. In seiner nun von den Richtern vorgelesenen Erklärung hingegen steht: Dass der Bauunternehmer tot war, erfuhr er erst, nachdem sich die maskierten Polizisten auf ihn gestürzt und ihn mit dem Gesicht aufs Parkplatz-Pflaster gedrückt hatten.

x