Rheinland-Pfalz Anti-Terror-Einheit rüstet auf

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Schussbereit: Mit ihren Maschinenpistolen treffen die Polizisten auf eine Entfernung von etwa 50 Metern. Damit hätten sie kaum Chancen gegen Terroristen, die – wie die Pariser Attentäter – aus Kalaschnikows feuern.

Nach den Pariser Attentaten hat der rheinland-pfälzische Innenminister Alarm geschlagen: Spezialeinheiten müssen sich besser wappnen. 1,6 Millionen Euro stellt er deshalb für die Elitepolizisten des Landes bereit. Die schotten sich streng vor der Öffentlichkeit ab. Doch der RHEINPFALZ haben sie ein wenig Einblick erlaubt.

MAINZ. Wumm. Mit einem mächtigen Knall fliegt die Tür auf. Lichtkegel flackern, Maschinenpistolen drohen, Vermummte brüllen durch Sturmhaube und Helmvisier: „Polizei! Polizei!“ Und: „Die Hände! Die Hände!“ Der Mann am anderen Ende des schäbigen Kellers erstarrt. Seine eigene Pistole bleibt unterm Kopfkissen des Matratzenlagers, die Kalaschnikow darf weiter unberührt auf dem abgewetzten Sessel thronen. Er selbst liegt ein paar Schrecksekunden später auf dem Bauch. Knie drücken seine Schultern zu Boden, um seine Handgelenke schlingen sich Kabelbinder – fünf Beamte des rheinland-pfälzischen Spezialeinsatzkommandos (SEK) haben ihren Gegner zackig außer Gefecht gesetzt. Kein Wunder, schließlich ist er in Wirklichkeit ein Kollege, sein vermeintliches Versteck liegt auf dem Mainzer Gelände der Bereitschaftspolizei, die aufgerammte Tür hat gar kein Schloss. Und alles war abgesprochen. Denn wie sie Widerstand brechen, wollen die Elitepolizisten Beobachtern nicht zeigen. Einsatztaktik, streng geheim. Doch ähnlich geschmeidig laufen auch viele echte Einsätze ab. 250- bis 300-mal pro Jahr ziehen Beamte des SEK los. Zum Beispiel, um bewaffnete Straftäter festzunehmen. Oft können die Polizisten selbst bestimmen, wann sie die Tür auframmen. Am liebsten schlagen sie im Morgengrauen zu, wenn die Übeltäter friedlich schlummern. Doch die schwer bewaffneten Beamten stehen auch jederzeit bereit, um sich noch gefährlicheren Herausforderungen zu stellen. Einem Amoklauf zum Beispiel. Oder einer Geiselnahme. Sie trainieren für Einsätze an den schwierigsten Orten, in Bussen und Bahnen, auf Schiffen oder in schwindelnder Höhe. Und bislang waren sie überzeugt: Sie wissen nicht nur, was zu tun ist, sie haben auch die nötige Ausstattung. Seit Januar allerdings wissen sie, dass sie weiter aufrüsten müssen. Denn seither ist klar: Anschläge in Westeuropa können ein Ausmaß annehmen, das man nur aus Krisenländern wie Pakistan oder aus Russland kannte. Ralf Krämer, der Leiter des rheinland-pfälzischen SEK – randlose Brille, kariertes Hemd, Krawatte und Pullunder – ist ein Mann weniger Worte. Doch seine leise Stimme wird eindringlich, wenn der 47-Jährige über die Pariser Terroristen spricht. Darüber, dass einer in einem Supermarkt Geiseln nahm, während die anderen nach dem „Charlie Hebdo“-Attentat in verschiedenen Ecken Frankreichs gesucht wurden. Darüber, dass die Täter militärische Waffen hatten, Schutzwesten trugen – und zum Äußersten bereit waren. Für Krämer ist das der größte Unterschied zu gewöhnlichen Schwerverbrechern oder anderen Terroristen. Auch die riskieren ihr Leben. Aber: „Sie wollen überleben.“ Dschihadisten hingegen suchen den Tod. Und wollen möglichst viele Menschen mit hineinreißen. Ehe sie übungshalber den eigenen Keller stürmen, warten die fünf SEK-Polizisten draußen auf einem Parkplatz: umgängliche Männer zwischen Mitte 20 und Anfang 40, der eine mit keckem Bärtchen, der andere mit lässig verwuscheltem Haar. Beiläufig befiehlt ihnen Krämer sich bereitzumachen: „Rödelt mal auf!“ Nun öffnen sie die Tür zur Ladefläche eines klapprig wirkenden Kastenwagens, dessen Nummernschild aus einem anderen Bundesland stammt. Der unauffällige Transporter birgt, womit sie in den Kampf ziehen werden: eine Ramme für die Tür. Maschinenpistolen. Vier-Kilo-Helme mit schussfestem Visier. Und die dicken Westen. Sie sind Schutzklasse 2, fangen Pistolenkugeln ab. Gegen die Kalaschnikows der Pariser Terroristen wären sie nutzlos, gegen solche Schüsse panzert – mit etwas Glück – Schutzklasse 4. Indem sie zusätzlichen Keramikplatten in die schwarzblauen Stoffhüllen schieben, können die rheinland-pfälzischen SEK-Polizisten ihre Westen tatsächlich so weit aufrüsten. Aber diese Extra-Panzerung gibt es nur für manche der Beamten. Schließlich hat bislang niemand damit gerechnet, dass sie für alle auf einmal gebraucht werden könnte. Doch wenn in Rheinland-Pfalz Terroristen vom Pariser Kaliber zuschlagen würden, dann, sagt Krämer, „würde ich alles rausschicken, was laufen kann“. Das dürften dann um die 100 Beamte sein, genaue Zahlen behält Krämer für sich: operative Stärke, streng geheim. Offener spricht er über die Waffen seiner Leute: Jeder Beamte hat neben einer normalen Pistole eine MP 5 von Heckler und Koch. Sicher trifft man damit Ziele in bis zu 50 Metern Entfernung. Mit ihren Kalaschnikows konnten die Pariser Terroristen 300 bis 400 Metern weit schießen. Natürlich hat das SEK Waffen mit solcher Reichweite ebenfalls in seinem Arsenal. Aber auch davon muss es in Zukunft für jeden einzelnen Beamten eine geben, meint Krämer. Insgesamt 1,6 Millionen Euro lässt sich Innenminister Roger Lewentz (SPD) die zusätzliche Ausrüstung kosten. Auch seine Kollegen aus den anderen Bundesländern hat er dazu aufgerufen, ihre Spezialeinheiten besser auszustatten. Mit den rheinland-pfälzischen Elitepolizisten hat er tagtäglich selbst zu tun, denn das SEK beschützt gefährdete Landespolitiker. Die dafür abgestellten Beamten sind die einzigen, die sich offen zeigen. Alle anderen ziehen vor Einsätzen Sturmhauben über. Denn auch ihre Gesichter sind: streng geheim. Das soll sie schützen, beispielsweise vor rachsüchtigen Rockern oder Mafiosi, die wissen wollen, wer genau sie schachmatt gesetzt hat. Gleichzeitig verwandelt die Maskerade Beamte in furchterregende Kampfmaschinen – praktischer Nebeneffekt. In Wirklichkeit aber sind seine Männer ganz anders, sagt Krämer. Natürlich, topfit müssen sie sein, deshalb ist für sie spätestens mit 50 Jahren Schluss. Doch ihr Chef verlangt auch, dass sie absolut verlässlich sind. Er fordert von ihnen, dass sie sich immer wieder hinterfragen. Und er schätzt es, wenn sie Familienväter sind. Der Weg in ihren Übungskeller führt an Pappkameraden vorbei, die Bösewichter alten Stils zeigen: schmierige Zuhälter-Typen in engen Hemden. Vom Flur geht die Tür zu dem Raum ab, den die fünf Polizisten nun stürmen werden. Rechts vom Rahmen zückt ein Beamter seine Pistole, duckt sich hinter einen tragbaren Schutzschild mit Sehschlitz, Schrammen und „Polizei“-Schriftzug auf der Vorderseite. Hinter ihm stehen drei Kollegen, die Maschinenpistolen im Anschlag. Und links von der Tür lauert der Mann mit der Ramme. Ein paar letzte Blicke, ein Nicken: Wumm.

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