Panorama Satire auf Rädern

«Düsseldorf.» Jacques Tilly heißt der Mann, der Düsseldorfs Rosenmontagszug zum politischsten in Deutschland gemacht hat. Er ist Wagenbauer aus Passion, und das haben von Trump bis Kim, von Erdogan bis Putin und von Kohl bis Merkel die Mächtigen zu spüren bekommen. Rund um den Globus sind nach Karneval seine zumindest provokanten Arbeiten zu sehen.

„Ich mache Satire auf Rädern“, sagt der Mittfünfziger, der stets im roten Overall anzutreffen ist. Und verweist auf die Tradition des Karnevals, einmal im Jahr den Herrschenden die Meinung sagen zu können. Dass der Düsseldorfer Rosenmontagszug als der politischste im Land gilt, ist Jacques Tillys Verdienst. „Anderswo hat man halt die Hosen voll“, sagt er. Der Karneval habe zwar seine frühere Bedeutung, seine Ventilfunktion verloren. Wir lebten eben in einer Spaßgesellschaft. „Aber mein Bedürfnis war es immer schon, politisch zu arbeiten“, sagt der Düsseldorfer. Schon während seines Studiums hat der Kommunikationsdesigner Erfahrungen im Wagenbau gesammelt. Auch später, als er in der Werbung seine Brötchen verdiente, blieb Tilly dieser Beschäftigung, die mittlerweile zum Hobby geworden war, treu. „Ende der 90er habe ich dann entschieden, mich ganz auf den Bau von Großplastiken zu konzentrieren.“ Der Wagenbau für den Rosenmontagszug, den in Düsseldorf alle nur „de Zoch“ nennen, blieb allerdings sein Kerngeschäft. Daneben arbeitete Tilly für Diskotheken und Messen und baute schon für den FC Schalke 04 eine Allstar-Mannschaft. Tilly, der im vergangenen Jahr von Amnesty International mit dem Gelben Trikot der Menschenrechte ausgezeichnet wurde und Großplastiken für Umwelt- und Verbraucherorganisationen wie Greenpeace und Foodwatch gebaut hat, zeigt Fotos vom vergangenen Zoch. Theresa May, die sich den Brexit-Colt in den Mund steckt, ist bestens getroffen. „Den Wagen haben nach Rosenmontag sogar die Brexit-Gegner in Großbritannien ausgeliehen.“ Auch der aufgrund damals guter Umfragewerte aufgepumpte Martin Schulz ist unverkennbar. Das gilt auch für die ewige Angela Merkel als „Mammutti“ (in Mammutgestalt) und das blonde Dreigestirn Marine Le Pen, Donald Trump und Geert Wilders. An deren Seite hatte Tilly einen blond gefärbten Hitler platziert: „Blond ist das neue Braun“, so das Motto des Wagens. „Bloß nicht zu harmlos sein, sondern scharf und gemein“, postuliert Tilly mit einem Gesichtsausdruck, der harmloser nicht sein könnte. „Wir müssen den Punkt treffen, wo es wehtut.“ Das ist ihm zuletzt wahrlich geglückt. So waren 2016 Schmerzensschreie sogar aus Ankara und Warschau vernehmbar. Eine türkische Generalkonsulin forderte noch während des Zochs die sofortige Verhüllung eines Wagens. Er zeigte, wie sich Präsident Recep Tayyip Erdogan und ein IS-Terrorist mit Kurdenblut zuprosten. Auch keine Jubelschreie löste die knieende Frau namens Polen aus, die unter dem Stiefel von Jaroslaw Kaczynski kauert. Die polnische Regierung intervenierte damals in Berlin. Dort aber verteidigte ein Regierungssprecher die Meinungs- und Kunstfreiheit. Dass Kritik nicht nur auf höchster Ebene laut wurde, sondern sich zudem in die tiefsten Niederungen der digitalen Empörungskultur verstieg, kann leider nicht mehr verwundern. „Das war ein großer Spaß“, erinnert sich Jacques Tilly an hunderte Hassmails, die er als Reaktion auf den letzten Zoch erhalten habe. Ihm sei tatsächlich aus rechten Kreisen „Stürmerpropaganda“ vorgeworfen worden, und man habe ihn als „Systemling“ beschimpft. Tilly lächelt dabei. Doch er meint es ernst, wenn er von einem weltweiten „rechtsnationalen Rollback“ spricht. „Umso notwendiger ist es, unsere Werte zu verteidigen“ – auch mit Karnevalswagen. Dass das vielen Menschen zu weit geht, zu drastisch ist, liegt in der Natur der Sache. Gibt es denn in Düsseldorf sonst keine Kritik an seiner Arbeit? Seit Mitte der 90er Jahre seien die Verantwortlichen im höchsten Maße tolerant und mutig, sagt Tilly: „Anders als in manch anderen Karnevalshochburgen, wo oft Betonköppe das Sagen haben.“ 30 bis 40 Entwürfe lege er dem Karnevalskomitee jedes Jahr vor, zwölf davon würden realisiert – „und zwar streng geheim“. Worauf darf man sich denn in diesem Jahr gefasst machen? „Kein Kommentar!“ Der Hallenteil, in dem die politischen Großplastiken gebaut werden, bleibt verschlossen. „Wir wollen so aktuell wie möglich sein“, lautet eine der wichtigsten Arbeitsanforderungen. „Das heißt, der letzte Wagen wird meistens erst in der Nacht vor Rosenmontag fertig.“ Was allerdings bereits feststeht: Der Düsseldorfer Zoch wird wieder für jede Menge politischen Zündstoff sorgen.

x