Kultur Tod im Isenach-Weiher

img_20190804_200608.JPG

Sebastian Steinmehl mochte die Sonne. Als die Polizei ihn am Abend des 12. Juli am Rand des Isenach-Weihers in Bad Dürkheim findet, schaut er direkt zu ihr hoch. Friedlich liegt er auf dem Rücken, der Körper vom seichten Wasser bedeckt, die Wangen von den letzten Sonnenstrahlen des Tages gestreichelt, die sich ihren Weg an den saftig grünen Blättern vorbei suchen. Sein Oberkörper ist von einer Eisenstange durchbohrt. Steinmehl ist tot. Direkt unter einem kleinen Schild „Schutzzone – Laichort“ blicken die Beamten in das starre Gesicht des 32-Jährigen. Sebastian Steinmehl ist nie aus Dürkheim herausgekommen. Der Sohn eines der größten Winzer vor Ort stand schon als Jugendlicher mit dem Gesetz in Konflikt. Ein paar kleine Drogendelikte, mehrere Betrugsfälle, und im vergangenen Jahr hat sich der 32-Jährige mit ein paar Touristen auf dem Familienweingut geprügelt. Der Richter hat ihn eindringlich ermahnt und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. „Das nächste Mal gehen Sie ins Gefängnis“, sagte er ihm und schickte ihn zurück auf das väterliche Weingut.

Der Winzer hatte sich verzockt

Was für Sebastian nicht besser als das Gefängnis war. Steinmehl widert die Rosamunde-Pilcher-Atmosphäre an. Die Snobs, die sich am Wochenende in ihre Porsches, Lamborghinis und Ferraris setzen, um an der Weinstraße ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Die Frauen in langen blumigen Kleidern und die Männer in ihren weißen Hemden und offenen Schuhen. Für seinen Vater war das neue Image vor ein paar Jahren die letzte Chance gewesen, das Weingut über Wasser zu halten. Der Winzer hatte sich verzockt. Nach ein paar Erfolgen mit Aktien war er unvorsichtig geworden und auf einmal stand der Betrieb kurz vor dem Ruin. Nur mit Hilfe der Banken und der Investition eines IT-Unternehmers aus Heidelberg schlingerte der 64-Jährige knapp an der Pleite vorbei. Der Preis ist hoch. Nun entscheiden andere, wie es auf dem Weingut weitergehen soll. Der Wein kommt in neue Flaschen, die Etiketten werden neu designt und die Weinstube heißt nun Vinothek. Mit dem, was sein Großvater und dessen Vater über Generationen aufgebaut haben, hat das alles nicht mehr viel zu tun. Aber der Betrieb läuft. Die Einnahmen sprudeln wieder. Sebastian Steinmehl hat sich das alles ganz anders vorgestellt. Er träumt von einem für ihn ehrlichen Weingut, ohne Schnickschnack und Schicki-Micki. Und während er davon träumt, wird die Beziehung zu seinem Vater immer schlechter. Wenn die letzten Gäste ihren Secco getrunken haben und vom Parkplatz verschwunden sind, streiten sich die beiden regelmäßig. Und es ist niemand dort, der schlichten kann. Die Mutter ist schon vor elf Jahren gestorben. Die Winzerin hatte ihr Leben lang geschuftet und war einfach umgefallen. Herzinfarkt.

Das Ego angeschlagen

Ihren Platz hat niemand eingenommen und Sebastian Steinmehl hat kein Glück mit den Frauen. Es gibt nur wenige, die bereit sind, sieben Tage die Woche zu arbeiten, sich zu kümmern und zwei Streithähne zu ertragen. Eigentlich gab es bisher nur eine und die hat es zwei Jahre mit Steinmehl ausgehalten. Katharina hatte sich viel Mühe gegeben, um die Beziehung zu erhalten, aber irgendwann ging es nicht mehr. Sebastian hatte seine Wut auch ihr gegenüber nicht mehr im Griff. Als er sie eines Abends nach einem Streit ins Gesicht schlägt, verlässt sie das Weingut und Steinmehl. Eine Freundin holt ihre Sachen. Steinmehl leidet unter der Trennung. Sein Ego ist angeschlagen, sein Vater macht ihm außerdem Vorwürfe. So eine werde er nie wiederbekommen, er sei ein Idiot. Er ist immer der Idiot. So gehen die Monate ins Land, die Touristen kommen und gehen, und Steinmehl wird immer verschlossener. In diesem Jahr ist er das erste Mal dem Wurstmarkt ferngeblieben, was zum bisher größten Streit mit seinem Vater führte. Der Schubkarchstand der Steinmehls bringt reichlich Einnahmen in den zwei Wochen, ist aber auch die härteste Zeit des Jahres. Sein Vater musste nun alles allein organisieren, er spricht seitdem kein Wort mehr mit seinem Sohn. Der Junior sitzt stundenlang in seinem Arbeitszimmer und sucht sich eine neue Welt. Die er im Internet findet. Mit einer Gruppe von sogenannten Heimatfreunden tauscht er sich aus, beklagt die Ungerechtigkeit in seinem Leben. Und er findet das erste Mal seit Jahren Verständnis. An den Wochenenden treffen sich die Gruppenmitglieder, feiern ihre Feste und rücken näher zusammen. Steinmehl ist mittlerweile anerkannt, seine Positionen bekommen Gehör. Die Menschen müssten wieder selbst über ihr Schicksal bestimmen können, es müsse wieder gerechter zugehen in der Gesellschaft. Industrie und Banken sollten verstaatlicht werden. Hinzu kommen ausländerfeindliche Parolen. Steinmehl hat endlich die Verantwortlichen für sein verkorkstes Leben gefunden.

Alte Verbindungen gekappt

Weder der Vater noch sein Umfeld bemerken die Entwicklung. Klar, er ist ein Außenseiter, ein komischer Kauz. Aber die zunehmende Radikalisierung des 32-Jährigen geht anfangs an ihnen vorbei. Und Steinmehl lässt alle alten Verbindungen hinter sich. In der Stadt sieht man ihn nur noch selten, seine Wochenendausflüge gehen nach Mannheim, wo die Gruppe sich regelmäßig trifft, oder in den Osten. Dort gibt es regelmäßig Konzerte und Treffen, bei denen sich die Heimatfreunde ungestört austauschen können. Steinmehl steigt zu einer führenden Persönlichkeit in dem Kreis auf. Es dauert nicht lange und er wird vom Verfassungsschutz überwacht. Auf dem elterlichen Weingut eskaliert derweil der Streit. Der 32-Jährige will fort. Und er will den Teil seines Erbes ausgezahlt bekommen. Für den Vater undenkbar. Gerade wieder Fuß gefasst, sieht der die Existenz des Weingutes bedroht. Keinen Cent soll sein Sohn bekommen. Zusammen mit seinen Heimatfreunden gründet Sebastian eine Ortsgruppe, man trifft sich in den Dürkheimer Kneipen. Die Truppe ist bald bekannt. Ausländerfeindliche Parolen, Deutschtümelei – die, die Steinmehl kannten, erkennen ihn nicht wieder. Und sein Vater muss sich Fragen stellen lassen. Für den Senior-Winzer bricht seine Welt zusammen, als sein Sohn mit seinen Heimatfreunden zur Kommunalwahl antreten will. Er fordert ihn zur Aussprache auf. Der Junior sträubt sich.

Schnell kursiert ein Gerücht

An seinem Todestag fährt Sebastian Steinmehl an den Isenach-Weiher. Es ist kurz nach 21 Uhr, die See-Gaststätte hat bereits geschlossen, die Hundebesitzer haben ihre Runden gedreht. Steinmehl muss nachdenken. Gedankenverloren steht er am Ufer, als sich eine ausgewachsene Ringelnatter aus dem Gebüsch hinter ihm herausschlängelt, um in den See zu gleiten. Steinmehl verliert das Gleichgewicht, fällt rückwärts in den See, direkt auf das Eisenrohr, an dem das Schild „Laichort“ befestigt ist. Er ist sofort tot. Ein paar Jugendliche, die am Seeufer die Ruhe mit einer billigen Flasche Wein genießen, beobachten das Unglück und alarmieren die Polizei. Ein Foto der Leiche geht noch am gleichen Abend tausendfach durch das Netz. Schnell kursiert das Gerücht, Steinmehl sei Opfer eines Verbrechens, die Heimatfreunde vermuten einen Racheakt gegen ihren Mitstreiter. Die Ringelnatter hat einen Frosch gefangen. In der Vinothek wird gefeiert. Der Autor Uwe Renners, Jahrgang 1971, stammt aus Gescher im Münsterland. Der gebürtige Westfale ist nahe der niederländischen Grenze aufgewachsen und hat viele Jahre in der Nähe von Münster gelebt. Uwe Renners ist stellvertretender Chefredakteur Digitales bei der RHEINPFALZ und lebt seit 2017 mit seiner Frau und seinen zwei Kindern im Bad Dürkheimer Stadtteil Hardenburg. „Heimat ist da, wo meine Familie ist“, sagt der 48-Jährige. Die Pfalz gehört für ihn zu den schönsten Landstrichen Deutschlands.

x