Speyer So menschlich wie Luther

Individuell und bunt: Die „Mannheimer Bibel“ enthält neben Texten auch Zeichnungen. „Abschreiber“ waren auch Speyerer.
Individuell und bunt: Die »Mannheimer Bibel« enthält neben Texten auch Zeichnungen. »Abschreiber« waren auch Speyerer.

«Mannheim.» Eine ganz besondere Bibel ist anlässlich des großen Jubiläums in Mannheim entstanden. 606 Männer, Frauen und Kinder haben abgeschrieben aus dem Werk – das Ergebnis sind 3626 handgeschriebene Seiten. Die Bibel zuletzt in der Hand hatte ein Buchbinderin aus der Neckarstadt, die Tag und Nacht daran gearbeitet hat.

Pfarrer Stefan Scholpp kann seine Aufregung kaum verbergen. „Das ist wie Weihnachten“, sagt er, während er fünf schwere, dicke, in Papier gehüllte Bücher auspackt. Sie ist fertig: die „Mannheimer Bibel“. Unterteilt in fünf Bände, handgeschrieben von 606 Menschen, 3626 Seiten stark. Morgen wird das Werk erstmals als Altarbibel der Christuskirche, wo es nun beheimatet ist, bei einem Gottesdienst um 10 Uhr in Gebrauch genommen. Erste Planungen zur „Mannheimer Bibel“ gab es vor einem Jahr. Auf die Idee kam Scholpp wegen des Reformationsjubiläums. „Wir haben uns überlegt, wie wir uns mit den Texten der neu aufgelegten Lutherbibel beschäftigen können“, erzählt er. Ein Gedanke war: Etwas abschreiben heißt, sich auch damit tiefer auseinanderzusetzen. Es folgte der Startschuss zur Suche nach Schreibern. Und es folgte ein regelrechter Ansturm Freiwilliger, die an dem Projekt mitarbeiten wollten. Zunächst musste einiges geregelt werden. Welches Papier? Welches Schreibgerät? Format? Satzspiegel? „Wir mussten koordinieren, wer welchen Text schreibt“, erzählt der Pfarrer. Nicht allen Textstellenwünschen konnte entsprochen werden. „Doch letztlich haben sich alle wahnsinnig reingehängt“, sagt Scholpp. Nicht alle Abschreiber stammen aus Mannheim. Frankenthaler machten mit, auch Menschen aus Speyer, Heidelberg, Lampertheim und Weimar. „Das Alter lag zwischen acht und 99 Jahren“, erzählt der Pfarrer. Es sei der Wunsch einer 99-jährigen Dame gewesen, an der „Mannheimer Bibel“ mitzuwirken. Und das, obwohl es nicht klar war, ob sie ihre Seiten schaffen würde. „Notfalls hätte ihre Betreuerin die Arbeit vollendet“, berichtet der Geistliche. Doch die Seniorin hat es geschafft. Das Werk konnte sie sich nun nicht mehr anschauen, sie ist vor wenigen Tagen gestorben. Diese Schicksale sind es, die die „Mannheimer Bibel“ zu etwas Besonderem machen. „Zu etwas Menschlichem“, wie Michael Wegener, einer der Projektleiter, sagt. Er las gemeinsam mit seiner Frau Korrektur, verglich die Abschriebe mit der Bibel und stieß auf so manche lustige Begebenheit. „Jemand machte aus dem Weggeführten einen Weggefährten“, erzählt er. Andere ließen im Eifer Wörter aus oder übersprangen Zeilen. Bilder von Kindergartenkindern bringen Farbe in die Bibel, die von der Mannheimerin Annette Schrimpf gebunden wurde. Besonders knifflig sei der Goldschnitt gewesen. Für ihn reiste sie nach Esslingen, wo er in einem der wenigen Betriebe, die so etwas noch machen, angefertigt wurde. In Zukunft wird derjenige Band der „Mannheimer Bibel“, aus dem jeweils die Wochenlesung entnommen wird, auf dem Altar der Christuskirche liegen. Die anderen Bände lagern in einem Schrank in der Sakristei.

Sind von dem Werk begeistert: Pfarrer Stefan Scholpp (links), Buchbinderin Annette Schrimpf und Projektleiter Michael Wegener.
Sind von dem Werk begeistert: Pfarrer Stefan Scholpp (links), Buchbinderin Annette Schrimpf und Projektleiter Michael Wegener.
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