Zweibrücken „Nur in der Box stehen ist eher Quälerei“

Beim Zweibrücker Pferderennen am 22. Juni stürzte die Stute „Dreaming Red“, zog sich einen Knochenbruch zu und wurde eingeschläfert (wir berichteten). Letzteres erledigte Veterinär Oliver Génot aus Mörsbach, der mit seiner mobilen Tierarztpraxis für Pferde unter anderem die Rennen in Zweibrücken, Iffezheim und Baden-Baden medizinisch begleitet. Redakteurin Sigrid Sebald sprach mit ihm über Verletzungen und Tod beim Pferdesport und den Vorwurf der Tierquälerei.

Solche Situationen sind immer sehr belastend. Man muss im Rennsport zwar mit so was rechnen, sonst wäre ich ja nicht während des ganzen Rennens anwesend, aber wenn es dann tatsächlich passiert, dass ein Pferd sich so schwer verletzt, ist das immer schrecklich. Die Besitzer sind in der Regel sehr, sehr aufgeregt und zwar entgegen der landläufigen Meinung nicht, weil sie nur den wirtschaftlichen Aspekt sehen, sondern weil sie an ihren Tieren hängen. Der Besitzer von „Dreaming Red“ etwa war am Sonntag so aufgewühlt, dass er einen Kreislaufkollaps erlitt und auch ärztlich behandelt werden musste. Das letzte Wort vor Ort hat der Tierarzt. Ich kann ein Pferd auch gegen den Willen des Besitzers einschläfern, wenn ich es medizinisch anders nicht vertreten kann. Ich kann es auch ablehnen, wenn ein Besitzer das Tier einschläfern will, ich das aber nicht für notwendig halte. Nicht jeder Knochenbruch muss zwingend mit dem Tod des Pferdes enden, manches ist schon heilbar. Im zweiten Fall ist es aber so, dass ich keinen Einfluss mehr darauf habe, wenn der Besitzer mit dem verletzten Tier die Rennbahn verlässt und es zum Metzger fährt. Sehr wertvolle Pferde sind manchmal auch versichert. Dann muss der Besitzer vorm Einschläfern noch mit der Versicherung telefonieren. Strittige Fälle sind sehr selten. Meist herrscht Einigkeit zwischen mir und dem Besitzer, was mit dem Pferd geschehen soll. So war es auch am Sonntag. Nicht mehr wie früher mit dem Bolzenschussgerät, das darf man laut Tierschutzgesetz nicht mehr. Das verletzte Tier wird zunächst sediert, so dass es keine Schmerzen mehr hat und ruhig wird, und dann mit einer Spritze getötet, ähnlich wie man das bei Schwerkranken Hunden und Katzen macht. Wobei ich sagen muss, dass die Sache mit dem Bolzenschussgerät sich zwar brutal anhört, aber aus meiner Sicht nicht schlimmer war als die jetzige Methode, denn das Tier war sofort tot und von seinem Leiden erlöst. Ich sag’s mal so: Einer muss das machen, und ich mache es, weil ich es kann, weil ich lange Jahre Erfahrung damit habe und nicht will, dass die Tiere stümperhaft zu Tode gebracht werden. Im Übrigen bin ich ja nicht nur zum Einschläfern beim Rennen, sondern behandele auch verletzte Tiere. Ich schaue mir die Pferde zunächst im Führring an, wie sie laufen, was für einen Eindruck sie machen. Manchmal muss ich dann auch schon ein Pferd rausholen, wenn es mir nicht gefällt. Nach dem Rennen, im sogenannten Absattelring, schaue ich mir die Galopper dann noch mal an, ob sie verletzt sind. Und manchmal merkt auch ein Jockey am Start, dass sein Pferd lahmt, was man vorher nicht gemerkt hat, weil es nur Schritt gelaufen war. Der Jockey meldet es dann dem Starter, der meldet es mir, und ich gucke mir das Pferd an. Dann liegt es an mir, ob das Pferd das Rennen läuft oder nicht. Es kann Ärger geben, wenn ich etwa einem Favoriten kein grünes Licht gebe. Dann müssen die Quoten neu berechnet werden und all so was. Aber darauf kann ich als Tierarzt keine Rücksicht nehmen. Wenn bei den Dopingkontrollen ein Pferd nach 60 Minuten keinen Urin abgibt – je heißer es ist, desto öfter kommt das vor – muss man dem Tier Blut abnehmen. Das mache dann auch ich. Schon, das liegt in der Natur der Sache, das Sturzrisiko eines sehr schnell galoppierenden Pferdes ist höher als das eines Dressurpferdes in der Reithalle. Pferderennsport kostet viel Leben, auch das von Jockeys, das ist so. Diese Forderung wird immer mal wieder gestellt. Aber was würde man denn mit all den Pferden machen, wenn die Rennen verboten würden? Das wären dann reine Nutztiere mit dem gleichen Stellenwert einer Kuh oder eines Schweins. Sie stünden zwölf Monate im Stall und würden dann geschlachtet. Und wer einmal einen Schlachthof von innen gesehen hat, denkt vielleicht anders über die Rennbahn. Zumal die allermeisten Rennpferdebesitzer nach meiner Erfahrung ihre Tiere gut behandeln. Sie werden bewegt, ärztlich versorgt, stehen den halben Tag auf der Koppel. Ein Dressurpferd beispielsweise sieht in seinen durchschnittlich 15 Lebensjahren nicht ein einziges Mal Gras auf der Wiese , das kann ich Ihnen sagen. Da gibt es leider viele Mythen. Man hat das idyllische Bild im Kopf, dass Mensch und Tier gemütlich in der Abendsonne über einen Waldweg reiten. In der Realität ist es oft so, dass die Tiere als Statussymbol gehalten werden, die Halter aber keine Zeit haben, sich zu kümmern und das Pferd dann 23 Stunden am Tag in seiner Box steht. Da kann ihm zwar nichts passieren, aber artgerecht ist das nicht. Ein Pferd ist ein Fluchttier, es braucht sehr viel Bewegung. Tierquälerei ist es eher, wenn es diesem Drang nicht nachgehen kann. Vor diesem Hintergrund haben es Rennpferde besser. Nein. Ich sehe es als meine Verantwortung an, auch Rennpferden zu helfen und sei es durch die Tod bringende Spritze. Diese Verantwortung kann man nicht auf Laien abschieben. Ich zweifle eher manchmal an den Zuschauern. Da gibt es welche, die nehmen ihre Kinder auf die Schultern, damit die Kleinen auch ja gut sehen können, was hinter dem Vorhang geschieht, hinter dem wir verletzte Tiere behandeln. Da spielen sich natürlich Szenen ab, die für Kinder sehr schockierend und verstörend sind. Solche Eltern sind meiner Meinung nach verantwortungslos.

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