Zweibrücken In den Hinterzimmern der Spiele

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RIO DE JANEIRO/ZWEIBRÜCKEN. Mehr als 11 000 Athleten nehmen an den Olympischen Spielen in Rio teil. Hinzu kommen 70 000 Trainer, Betreuer und Volunteers, die freiwilligen Helfer. Noch nicht berücksichtigt sind die Zigtausende Sponsorenvertreter. „Die Spiele sind ein gigantischer Betrieb. Bei dem dir als Athlet scheinbar alles abgenommen wird. Aber auch nur scheinbar“, sagt Alexander Vieweg. Der Sportvorstand des LAZ Zweibrücken sollte es wissen. 2008 war er als Athlet in Peking selbst dabei. Ein Blick hinter die Kulissen von Olympia.

„Allein so eine Mensa im olympischen Dorf einmal gesehen zu haben, ist ein Erlebnis“, sagt Vieweg. In Erinnerung der Spiele von Peking bleibt dem Speerwerfer die 200 Meter lange Front von Ausgaben, die wirklich alles anreichten, was der Welt so schmeckt. „Wünsche bleiben da wirklich nicht offen. Wobei ich zugebe, dass wir nach meinem Wettkampf eine Orgie bei McDonalds abgehalten haben. Den es natürlich auch im olympischen Dorf gibt.“ Bei den täglich anstehenden Mannschaftsbesprechungen, den Briefings der deutschen Mannschaftsleitung, sollte man den Besuch im Fast-Food-Restaurant besser nicht anklingen lassen. Zumindest nicht in der Vorwettkampfzeit. „Die Teilnahme ist absolut Pflicht. Wobei man das Wichtigste als Athlet schon vorher verabreicht bekommt.“ Vieweg spielt auf das 500 Seiten starke Handbuch des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) an, in dem sich strenge Verhaltensregeln und Anweisungen – der DOSB ist formal Entsender der Athleten – finden, aber auch „Boni“. „Als Olympiateilnehmer lebst du noch ein halbes Jahr nach den Spielen gut von den Spielen. Es ist der Hammer, was sich darin für Gutscheine, Vergünstigungen und anderes findet. Vom Ticket für den Freizeitpark bis zum Autorabatt“, erinnert sich Vieweg an den geldwerten Vorteil so eines „Manuals“. Aber eben auch an die Vorschriften. „Alles ist festgelegt. Der Dresscode fürs olympische Dorf, die Kleiderordnung für außerhalb. Was man zum Training anzuziehen hat und in welcher Reihenfolge Interviews zu geben sind. Und, und, und.“ Drei riesige Taschen plus Rucksack habe allein seine vom damaligen NOK gestellte Peking-Ausstattung umfasst. Inklusive Zahnseide und Kondome. Den Anzug für die Abschlussfeier trage er heute gelegentlich noch. Der U 23-Europameister von 2007 war 2008 nach Peking mit einer Bestleistung von 83,27 Metern angereist. In einem Nachnominierungswettkampf in Athen, einem von ihm gewonnenen Weltcup, hatte sich der damals für Saar 05 Saarbrücken startende Zweibrücker auf den allerletzten Drücker für Olympia qualifiziert. Und kam auch erst kurz vor seinem Wettkampf in der zweiten Olympia-Woche in Peking an. Die Trainingslager in Kienbaum und im südkoreanischen Shibetsu waren auf den Tag X abgestimmt. „Raphael, der ja auch in Peking dabei war, war in einem anderen Ort als ich in Südkorea einquartiert. Man meint immer, die deutsche Mannschaft hängt bei Olympia immer zusammen. Dabei ist das ein ständiges Kommen und Gehen kleiner Gruppen. Wenn’s gutgeht, trifft man sich zu einem Mannschaftsfoto und zur Abschlussfeier.“ Diesmal sind Raphael Holzdeppe und Christin Hussong, die Rio-Starter des LAZ, ohne Zwischenstopp nach Brasilien geflogen. Seit Samstag beziehungsweise Montag bereiten sie sich vor Ort vor. Für die unmittelbare Wettkampfvorbereitung sollte man schon ein Organisationstalent sein. Zwar stehen Trainingsanlagen zu Verfügung, und ein ausgefeilter Zeitplan stellt sicher, dass kein Athlet sich benachteiligt fühlen kann. „Aber Heimtrainer haben keinen Zutritt zu den Anlagen, man muss sie jeweils tageweise akkreditieren. Nur die Bundestrainer haben einen All-Area-Pass. Für Udo Hussong ist es zum Beispiel gar nicht selbstverständlich, dass er in Rio an Christin herankommt“, schlägt Vieweg die Brücke zu den aktuellen LAZ-Teilnehmern. Als Frauen-Bundestrainer Stabhochsprung ist Andrei Tivontchik fein raus. Er hat Zugang auch zu Raphael Holzdeppe. Bei Udo Hussong, Vater und Heimtrainer von Speerwerferin Christin Hussong, ist das anders. Bei seinem Wettkampf in Peking damals wurde Alexander Vieweg von Damen-Bundestrainer Helge Zölkau mitbetreut. Sein damaliger Heimtrainer Boris Henry, heute selbst Bundestrainer, hatte nur eine ganz normale Zuschauer-Eintrittskarte. Und auch sonst musste improvisierte werden. „Man denkt immer, das IOC schafft ideale Bedingungen für die Athleten. Wir allerdings fanden überhaupt keinen geeigneten Kraftraum auf dem Olympiagelände. Also haben wir uns außerhalb einen privat gesucht. Und mussten eine ganze Stunde Anfahrt in Kauf nehmen“, erinnert sich Vieweg. Wie er sich auch an das penible Szenario vor seiner Qualifikation erinnert. „Auf die Sekunde genau war festgelegt, wann Abfahrt zum Stadion ist, wann Call eins, wann Call zwei ist. Wehe, wenn du nicht parat bist. Dass sich dann die Quali zwei Stunden verzögerte und die Chinesen vergaßen, meine vorher abgegebenen Speere aus dem Regen zu holen, ist eine andere Sache.“ Im Call 1 genannten Aufruf wird jeder Athlet 90 Minuten vorm Wettkampf klinisch genau auf verbotene Werbung hin abgesucht. Was nicht von einem Werbepartner des IOC stammt, wird rigoros entfernt oder –, wenn unerlässlich – überklebt. „Mir haben sie damals ein winziges Logo an der Brille abgeklebt“, erinnert sich Vieweg schmunzelnd. Woran er sich nicht gerne erinnert, ist sein Ausscheiden in der Quali. Im Regen von Peking gelang ihm gar nichts, indiskutable 67,49 Meter des 80-Meter-Werfers bedeuteten das Aus. Die Stimmung war einige Tage getrübt, aber Vieweg wollte sich das Olympia-Erlebnis nicht ganz nehmen lassen. „Nach dem Wettkampf sind die Spiele eine einzige 24-Stunden-Rund-um-die-Uhr-Party. Ich erinnere mich an eine bei Usain Bolt. Puma hatte eine ganze Etage eines Hochhauses gemietet. Es war der Hammer.“ Für die Schlussfeier habe er drei Stunden angestanden, dann drei Stunden im Stadion gefeiert. „Ein tolles Erlebnis aus einer einzigartigen Perspektive. Unbedingt mitnehmen“, rät er den Zweibrücker Rio-Startern Christin Hussong, Raphael Holzdeppe und auch Jasmin Külbs.

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