Zweibrücken Der Erinnerung eine Zukunft geben

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Eine wenig bekannte Erinnerungsstätte in Zweibrücken ist die Ostdeutsche Heimatstube in der Grinsardstraße 16. Der Kreisverband des Bundes der Vertriebenen (BdV) präsentiert dort im Gebäude der städtischen Musikschule facettenreich Dokumente, Bilder und Gegenstände aus dem ehemaligen deutschen Osten. „Die Stätte soll auch mahnen, dass es künftig nie mehr Kriege und Vertreibungen geben darf“, sagt Horst Schwanz, Geschäftsführer des Verbandes.

Jedes Bild, das da hängt, ist durch meine Hand gegangen“, erzählt Schwanz. 1983 hatte Harry Riewe aus Westpreußen als Nachfolger von Günter Geppert aus Breslau mit der Aufarbeitung der Erinnerungsstücke aus Ost- und Westpreußen, Pommern, Nieder- und Oberschlesien, dem Sudetenland sowie dem Gebiet der Donauschwaben begonnen. Nach dessen plötzlichen Tod übernahm Schwanz nach längerer Zeit ohne Leitung im Frühjahr 1998 die Federführung für die Heimatstube. „Es wäre unverantwortlich gewesen, die ostdeutsche Kultur nicht bewahren und vermitteln zu wollen“, sagt der Flüchtling aus dem Osten. Schwanz stammt aus Gallnow in Westpommern. Als am 22. Juni 1944 die Rote Armee ihre Großoffensive begann, setzten sich im Memelland die ersten Flüchtlingstrecks in Bewegung. Nach dem Menetekel im ostpreußischen Grenzort Nemmersdorf herrschte – von der NS-Propanda angeheizt – große Angst vor den Rotarmisten und Partisanen. „So floh die ganze Familie über Mecklenburg nach Schleswig-Holstein“, erinnert sich der damals Neunjährige noch sehr gut. 1949 wurde die Familie nach Niedersachsen in den Kreis Hildesheim übergesiedelt. In Hessen lernte er den Beruf des Flickschuhmachers, und in Zweibrücken fand er bei Klaus Meder eine Arbeitsstelle. Dort fertigte er Maßschuhe an. Die Volkszählung vom 6. Juni 1961 weist 3106 Vertriebene für die Stadt und 1954 für den Landkreis Zweibrücken aus. Der Einheitsverband „Bund der Vertriebenen – Vereinigte Landsmannschaften und Landesverbände“ habe in Zweibrücken und dem Umland in der Blüte über 1000 Mitglieder gehabt, sagt Schwanz. „Heute sind es noch rund 75 Personen – überwiegend ältere.“ Als es um den Lastenausgleich und die Vertriebenenausweise ging, hätten viele die Finger gehoben. Später seien sie zu Einheimischen geworden. Es war Oberbürgermeister Oskar Munzinger, der 1963 während der Weihnachtsfeier der Vertriebenen im Gasthaus „Zum roten Ochsen“ in Erinnerung an seine Zeit im deutschen Osten darauf hinwies, dass diese für das Kulturgut ihrer alten Heimat eintreten müssten und es öffentlich zeigen sollten. Er schlug vor, im Stadtmuseum ein Zimmer zur Verfügung zu stellen. 1978, nahm Geppert, Kulturreferent der Vertriebenen, die Idee auf. Aber erst Anfang November 1980 erhielt der Verband von der Stadtverwaltung im Dachgeschoss der Herzogstraße 9/11 einen Sammelraum. Unter Oberbürgermeister Werner von Blon gab es zwei Räume dazu. Das Stadtoberhaupt konnte sich gut mit den Vertriebenen identifizieren, war doch seine Familie 1931 nach Eger ins Sudetenland umgesiedelt. Im Februar 1990 wurde das Gut der Heimat als Ostdeutsche Heimatstube der Öffentlichkeit erstmalig zugänglich gemacht. Nach langem Bemühen stellte die Stadt einen vierten Raum zur Verfügung. Nach der Umbauphase konnten die Räume ab September 1994 in Form eines Rundgangs besucht werden. Ab Mai 1999 wurden die angekauften Erinnerungsstücke des Kreisverbands Pirmasens integriert, da dieser den Raum in Rodalben an die Stadt zurückgeben musste. Bei der Einweihung der Heimatstuben hatte von Blon darauf hingewiesen, dass die Räume über dem Herzogsaal nur ein Provisorium sein sollen und die Stadt andere Räume suche. Es dauerte über zehn Jahre, bis es so weit war. Anfang 2002 bekam der Verband die Schlüssel für einen Schulsaal in der ehemaligen Maerckerschule, da das Dachgeschoss des Petrihauses dringend renoviert werden musste. Statt über die gefährliche Holztreppe ging es nun ebenerdig zu den Objekten. Am 28. September öffnete die neugestaltete Heimatstube ihre Pforte. Ein Glanzstück der Sammlung ist die handgewebte Hochzeitsdecke von 1799. „Das zweifarbige wollene Doppelgewebe stammt von Vorfahren meiner Frau Edelgard“, erklärt Schwanz. Entstanden ist die Decke in Kleschen in Ostpreußen. Sie gehörte der Tradition nach zur Brautausstattung und hatte den bäuerlichen Hochzeits- und Festtagstisch zu schmücken. Ein weiteres Kleinod ist ein Gemälde von Theodor Urtnowski. Der Grafiker und Maler hat das aus Backstein und Holz gebaute Krantor von Danzig, eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt, darauf festgehalten. „Es hängen in vielen Museen Bilder von diesem Künstler“, sagt Schwanz. Daneben sind Trachten, Landkarten, Stiche und typische Gegenstände – wie etwa Bernsteinschmuck und Bergbaulampen aus Oberschlesien – zu sehen. Eine umfangreiche Literatursammlung mit rund 1000 Exemplaren informiert über Besiedlung, Flucht und Vertreibung. Das Alter der Mitglieder hat Einfluss auf die ehrenamtliche Betreuung der Ausstellung. So warten am Sonntagvormittag in der ehemaligen Maerckerschule die inzwischen 83 Jahre alte Erna Parakenings, geborene Primke, aus Niederschlesien und die 77-jährige Ingelore Lauer, geborene Zillmer, aus Pommern darauf, Besuchern die Exponate zu zeigen. Die Besuche städtischer Vertreter hätten sich bisher in Grenzen gehalten, sagt Parakenings. Interessante Gespräche habe es mit Amerikanern gegeben, die sehen wollten, wo ihre Vorfahren herkommen. Lauer: „Im Jahr 2014 kamen lediglich 17 Einzelpersonen und eine 26-köpfige Gruppe, im Jahr davor 21 Besucher. 2012 waren es 46 Personen. Am Tag der offenen Tür der Musikschule machten einige einen Abstecher in die Ausstellung.“ Die Anstrengungen von Schwanz, die Jugend für die Geschichte des Ostens zu begeistern, waren nicht von Erfolg gekrönt. „Alle Schulen der Stadt und der Umgebung wurden angeschrieben. Die Reaktion war gleich null“, sagt er enttäuscht. Von Seiten des Schulamts und der Politik seien große Worte gemacht worden: „Aber montags waren sie vergessen.“ „Warum hat man so wenig Interesse an der Heimat von Caspar David Friedrich, Immanuel Kant, Joseph von Eichendorff und Dietrich Bonhoeffer?“, fragt sich Schwanz, der gern der Erinnerung eine Zukunft geben möchte. Er ist sich aber auch bewusst, dass die Jugend heutzutage das Internet als Informationsquelle bevorzugt. Wie geht es mit dem aussterbenden Verein und der kleinen Heimatstube weiter? „Der Verband hat mit der Stadt vertraglich vereinbart, wenn er die Heimatstube nicht mehr unterhalten kann, dass die Sammlung in deren Besitz übergeht“, erklärt Schwanz. MEHR ZUM THEMA:

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