Speyer Wochenchronik:

In Speyer geht (fast) alles Hand in Hand – nach mehr als 2000 Jahren Stadt und fast 1000 Jahren Dom künftig auch Dom- und Stadtführungen. So lange gibt es noch keinen Fremdenverkehr in Speyer, aber tatsächlich war die Stadt der Kirchen und der Reichstage historisch ein frühes touristisches Ziel. In diesem Sinne, liebe Leserinnen und Leser, stehen wir nun hier für eine Stadtführung durch eine wieder einmal bewegte Speyerer Woche. Der Tourist-Info habe ich nichts davon verraten, dass wir jetzt auf eigene Faust losziehen. Wir sind damit ja in bester Gesellschaft, wie die Stadt in ihrer touristischen Bilanz betont: Es gebe immer mehr unangemeldete Stadtführungen. Wir machen das also mal ein bisschen in Guerilla-Manier – aber natürlich ohne militärische Mittel. Die üblichen Sehenswürdigkeiten sparen wir aus. Die Stadt könnte zwar nichts dagegen machen, die Kirche würde uns aber rausschmeißen aus dem Dom. Wie übrigens auch weiterhin jeden „stinknormalen“ Stadtführer: Das neue Angebot bezieht sich nur darauf, dass Stadt- und Domführungen nun gemeinsam gebucht werden können. Eine absolute Selbstverständlichkeit, die viel zu spät kommt. Getrennte Führer gibt’s immer noch – und somit weiter was zu ändern. Ein Punkt scheint bei den Stadtführungen indes kaum ausbaufähig: die Vielfalt der Speyerer Themenführungen. Und dennoch kommen jedes Jahr neue Ideen in den Veranstaltungskalender. Rundgänge für Leute, die besonders an stadtbekannten Frauen, gefährlichen Gaunern, müden Pilgervätern oder gutem Essen interessiert sind, gibt’s schon. Neue Angebote beziehen sich auf das jüdische Leben in den Mauern der Stadt, auf die Heilige Edith Stein und – in Kooperation mit dem Museum – auf die Titanic. Mit der Haardt wird beim neuen Themenschwerpunkt Wein zusammengearbeitet. Ziel der Stadt: „den Tourismusstandort Speyer weiter als heimliche Metropole der Pfalz etablieren“. Für dieses hohe Ziel ist freilich noch mehr nötig. Folgen Sie mir bitte, liebe Speyer-Freunde, heben wir das Dubbeglas und sammeln Ideen für Themenführungen. Wie wär’s mit „Dirndl, Dome, Dummbabbeln – Speyer ist weltklasse“ oder „Löcherpisten, Landebahnen, Leinpfade – Schnelle Runde in der Stadt des Verkehrs“? Nur Mut! Hier zu unserer Linken sehen Sie übrigens das Polygon-Gelände. Eine von vier Konversionsflächen in der Stadt und die einzige davon, die schon zur Gänze zivil genutzt wird. Die Fahrlehrer üben darauf mit ihren Schülern. Die Ausfahrt in den normalen Straßenverkehr wollen sie hier aber nicht proben: Viele Autos schießen mit 100 „Sachen“ vorbei, da kann’s gefährlich werden, wenn der 17-jährige Rollerfahrer hinter der Kurve einbiegt. Ein Warnschild „Achtung, Gefahrenstelle“ gibt’s trotzdem nicht. Die Behörden sind dagegen. Aber sollte man nicht lieber eine Warnung zu viel als eine zu wenig aufstellen? Wer den wahren Grund für die Entscheidung erfahren will, der muss an einer Themenführung teilnehmen: „Speyers Gefahrenstellen – Wo steht das rote Schild mit dem Ausrufezeichen?“ Die einzige Führung, die nichts zum Vorzeigen hat: Stadtweit gibt es laut Polizei nicht ein solches Schild. Gibt’s tatsächlich keine Gefahrenstellen? Auch hier kommt Antwort von der Polizei – es könne ja nicht sein, was nicht sein darf: „Wenn es eine Gefahrenstelle gäbe, würden wir sie beseitigen.“ Die alte Innenstadt ist eh überlaufen und gefährlich, folgen Sie mir bitte ins Gewerbegebiet. Die Franz-Kirrmeier-Straße ist zwar weniger was für Fußgänger als für Autofahrer, aber hier will ich Ihnen eine vorweihnachtliche Geschichte erzählen. Es kam eine Zeit, da lagen zwei große Transportboxen auf dieser Straße. Zwei Bauarbeiter hielten an, wollten sie zur Seite schaffen, um den Verkehr nicht zu gefährden – und entdeckten pro Container zirka 20 Paar Schuhe. Damen-, Herren- und Kindermodelle aus dem höherpreisigen Segment. Sie konnten auch den Adressaten der wohl von einem Laster gefallenen Fracht entziffern und entschieden sofort, die Ware beim betroffenen Schuhhaus abzugeben. Als der Finder dort anrief, wurde er abgewimmelt. Der Gesprächspartner befürchtete, dass ihm Hehlerware untergejubelt werden solle. Erst im dritten Anlauf hat’s geklappt, die Ware im Wert von mehreren tausend Euro zu übergeben. Den Männern, Anil Aksu (19) und Alcin Yamac (38) von Heberger, ist im Nachhinein die verdiente Ehre zuteil geworden: Beide betroffenen Firmen haben ihnen gedankt. „Es gibt sie noch, die ehrlichen Menschen“, lobt eine Heberger-Sprecherin. Einer der Zwei hätte zu Hause acht Kinderfüße mit Schuhen auszustatten gehabt, sei aber nie auf falsche Gedanken gekommen. Bei einer Betriebsversammlung wurden die Zwei jetzt als gute Vorbilder ausgezeichnet. Weihnachten kann kommen. Hier sehen Sie den Speyerer Hauptbahnhof. Baulich ist er nicht direkt ein Schmuckstück, aber anschauen kann man ihn. Die Stadt errichtet eigens dafür in der Oberen Langgasse eine neue Brücke mit sicherem Geländer, damit gut auf die Gleise geblickt werden kann. Just heute gibt’s dort etwas Neues zu sehen: Nichts. Der Intercity, der zwei Jahre lang zwischen Karlsruhe und Frankfurt verkehrte und auch in Speyer Halt machte, ist seit gestern eingestellt. Zu wenige Leute im Zug, so die Bahn. Wie Jahrzehnte zuvor ist Speyer wieder vom Schienenfernverkehr abgeschnitten. Es bleibt also das Warten auf die nächste S-Bahn, die Speyer zum Glück relativ pünktlich über die Schiene versorgt. Für manche zu pünktlich, wie kürzlich für das Paar am Gleis. Er: „Den Zug haben wir wegen Deiner Bummelei verpasst!“ Sie: „Und wenn Du nicht so gerannt wärst, müssten wir jetzt nicht so lang auf den nächsten warten.“ In diesem Sinne – danke für den Applaus, ich muss. Zum Zug. Sie wissen schon.

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