Speyer Spektakuläre Entdeckung in der Afra-Kapelle des Speyerer Doms

Fundort des berühmten Papiers: die Afrakapelle am Speyerer Dom. Unser Bild stammt aus dem Jahr 2017.
Fundort des berühmten Papiers: die Afrakapelle am Speyerer Dom. Unser Bild stammt aus dem Jahr 2017.

Eine geheimnisvolle alte Kiste ist im Oktober 1970 bei Renovierungsarbeiten der St. Afra-Kapelle am Speyerer Dom zum Vorschein gekommen. Der Inhalt: ein etwa 22 auf 27 Zentimeter großes Pergament, blutbefleckte Kleidungsstücke und menschliche Gebeine – Reliquien aus vergangenen Jahrhunderten. Daran erinnert die Bischöfliche Pressestelle des Bistums Speyer in einer Mitteilung.

Rückblick: Im April 1970 begann die Sanierung der Kapelle. Im Herbst kam es schließlich zu dem sensationellen Fund. Das sogenannte Ulfilas-Blatt wird heute im Dom- und Diözesanmuseum im Historischen Museum der Pfalz in Speyer aufbewahrt.

Entdeckt hat die Handschrift der Domvikar Franz Haffner unter Bodenplatten in der Nähe des Altars der Kapelle – neben menschlichen Überresten. Die Gebeine wurden durch einen beigelegten Zettel dem Bischof Erasmus zugewiesen. Das Pergament selbst sei um ein rundes Holzstück gewickelt gewesen, wiederum umhüllt von zwei Büttenpapierblättern mit einem Wasserzeichen, datiert auf das 16. Jahrhundert.

„Von hoher kulturgeschichtlicher Bedeutung“

Nach längeren Recherchen und dem Austausch mit Experten ist laut dem Bistum eines klar: „Das sehr gut erhaltene Pergament-Papier ist von hoher kulturgeschichtlicher Bedeutung.“ Das auch „Haffner-Blatt“ genannte Schriftstück ist demnach eine bis dato verschwundene Seite des „Codex Argenteus“, einer Abschrift der Evangelien in silbernen Buchstaben. Dabei handelt es sich um die erste von Bischof Wulfila (311–383), latinisiert Ulfilas, im vierten Jahrhundert geschaffene Übersetzung ins Gotische. Für diese Übertragung erfand Wulfila die gotische Schrift. Der Codex, ursprünglich bestehend aus 336 Seiten, ist in der schwedischen Stadt Uppsala archiviert. Allerdings nur 187 Seiten davon. Was mit den restlichen 149 Blättern geschah, war lange ungewiss. Bis eines der fehlenden Blätter vor 50 Jahren entdeckt wurde.

Dass das Speyerer Blatt tatsächlich zum „Codex Argenteus“ gehört, klärte sich bei genauen Untersuchungen aufgrund der silbernen- und goldenen Farbe der Schrift, der purpurgefärbten Seite und den Monogrammen der Evangelisten am unteren Rand. Bei der inhaltlichen Betrachtung wurde es noch deutlicher. Der Uppsala-Codex endet mit dem 16. Kapitel des Markusevangeliums, es bricht aber unvermittelt mit den Worten „Afaruh pan pata“ ab. Exakt an dieser Stelle setzt das im Dom gefundene Fragment ein und stellt somit die letzte Seite des Codex’ dar. Das ist offensichtlich kein Zufall. Zudem stimmen Wurmlöcher bei beiden Dokumenten überein. Ein eindeutiger Beweis also.

Ein Codex mit zahlreichen verschollenen Blättern

Den kompletten „Codex Argenteus“ brachte der Heilige Luidger im achten Jahrhundert von einer Italienreise in die von ihm gegründete Abtei Werden an der Ruhr. In der Abtei wurden, so lautet die Vermutung, 149 der insgesamt 336 Blätter aus dem Codex entnommen. „Vermutlich geklaut, verkauft oder verschenkt“, heißt es in der Bistumsmitteilung. Der restliche Codex wurde an Kaiser Rudolf II. abgetreten. Er brachte ihn auf seine Burg in Prag. Im 30-jährigen Krieg erbeuteten die Schweden die Schrift. Seit dem 17. Jahrhundert ist die Abschrift in der Universitätsbibliothek Carolina Rediviva in Uppsala archiviert.

Unklar ist, wann das Speyerer Blatt vom Codex getrennt wurde. Genauso wie nur spekuliert werden kann, wann es den Erasmus-Reliquien zugeführt wurde. Finder Haffner ist überzeugt: Das Blatt kam im 16. Jahrhundert in den Besitz des Erzbischofs von Magdeburg, Albrecht von Brandenburg. Einen Hinweis stellen die Erasmus-Reliquien dar, die dieser ebenfalls besaß. Seine Reliquiensammlung vermachte der spätere Erzbischof von Mainz 1540 dem Mainzer Dom. Ein Hinweis auf das Ulfilas-Blatt findet sich dort jedoch nicht. Nachdem der Domschatz 1792 nach Aschaffenburg gebracht worden war, gelangte ein Teil zwischen 1822 und 1825 zur Diözese Speyer. Alle Überreste „zweifelhafter Authentik“ wurden schließlich am 25. November 1859 in jener kleinen Kiste „begraben“, die 1970 bei den Sanierungsarbeiten entdeckt worden ist.

Ulfilas-Blatt: Evangelien in silbernen Buchstaben.
Ulfilas-Blatt: Evangelien in silbernen Buchstaben.
x