Speyer Luther, Lager, Luftfeuchtigkeit

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Gewandet oder nicht gewandet: Die Frage nach der richtigen Kleidung haben sich am Wochenende zahlreiche Besucher der „Speyerer Geschichte(n)“ gestellt. Rund um die Dreifaltigkeitskirche, auf dem Geschirrplätzel und im Domgarten ging es von Freitag bis gestern Abend überwiegend mittelalterlich zu.

Begonnen hat das dreitägige Spektakel im Paradiesgarten der Dreifaltigkeitskirche. Pfarrer Ralph Gölzers Historienspiel „Verraten und Verkauft“ über Leben und Glauben in Speyer im Jahr 1529 amüsierte hunderte Zuschauer (wir berichteten). „Ich fahre wieder heim“, beschloss eine Speyererin am Samstag, als die Protestanten gen Norden und die „Altgläubigen“ in Richtung Heidelberg von der Bühne abgegangen waren. Für eine Tour in den Domgarten war ihr das Wetter zu unwirtlich. „Trocken sind die Plätze, nur nicht geheizt“, so Pfarrerin Christine Gölzer mit Blick in den Himmel. Zum letzten Mal für dieses Wochenende standen Ralph Gölzer als „Protocollarius“ und etliche Laiendarsteller sowie -musiker gestern auf der Bühne, ritten auf Papp-Pferden ein und verteidigten oder bekämpften die Reformation mit derben Sprüchen. Die Initiative der Gölzers steht im Zusammenhang mit der Feier von 500 Jahren seit Luthers Thesenanschlag nächstes Jahr. Neben der Kirche hatten „Gefährten vom Fluss“ ihre Zelte aufgeschlagen. Angeführt von der Gruppe „Wünnespil“ zogen sie mit Vertretern weiterer 22 Lagergruppen zum historischen Markt in den unteren Domgarten. Vorbei ging’s am Whiskey- und Cider-Stand auf dem Geschirrplätzel. „Das Leben ist zu kurz für schlechte Getränke“, warb der Wirt um Gäste. Am Festplatz hatten zahlreiche Mittelaltergruppen ihr Lager. Vor offenem Feuer, Getränken in irdenen Krügen und fleischlichen Speisen tankten sie Kraft für drei Tage Mittelalter bei jedem Wetter. Für einen echten Ritter ist Regen nur besonders hohe Luftfeuchtigkeit. Fünf Euro Eintritt pro Tageskarte, gewandet drei: An der Einlass-Kasse gab es harte Verhandlungen, wann die Kleidung der von vor 500 Jahren würdig war und wann nicht. Ausgerüstet mit dem erforderlichen Stempel auf den Handrücken ließen sich Hunderte nach erfolg- oder verlustreichem Kampf um Preis-Ermäßigung von Zelt zu Zelt treiben. „Engelsrufer“ und unbesohltes Schuhwerk begegneten ihnen bei „Lederliebhabereyen“. Datteln aus Kaufbeuren gab es in allen Variationen, Steinschleudern und Holzschwerter für Jung-Ritter, um den Hals tragbare Sonnenuhren, Kräuter- und Räucherwerk gegen Husten und Heiserkeit. Stefanie von der Kaiserslauterer Hanfbäckerei versprach 100 Jahre Leben bei Verzehr ihrer Fladen. Besucher konnten sich im Punzieren üben, Löffel schnitzen, Kerzen ziehen oder Nägel schmieden. Im „Foltermuseum“ erfuhren sie, was es mit Streckbank, Befragungsstuhl oder „Judaswiege“ auf sich hatte. „Unehrbare“ sammelten „Mitleidstaler“. Münzpräger Patrick Simm erklärte die Funktion des 500 Kilogramm schweren Fallhammers hinter ihm. Taler in „Kaiserzinn“ – auf einer Seite die Dreifaltigkeitskirche, auf der anderen ein Herold – konnten Gäste in seiner „Münzerey“ prägen und mit oder ohne Fassung kaufen. „Reich wird man mit diesem Gewerbe nicht, zum Glück kann ich mein Geld selber machen“, so Sinn. Feuerspeier, Korbflechter, Puppenspieler, Gerber, Färber, Spengler, Schreiber, Spielleute, „Henker“, Bogenschützen, Bauchtänzer, Bauern oder Schotten: Rund 300 Gruppen, Händler und Musikanten haben am Wochenende zum guten Gelingen des Mittelaltermarktes mitgewirkt. Und etwas auch die Sonne ... Das Pfarrer-Paar Gölzer zog zufrieden Bilanz: Das schlechte Wetter habe den Erfolg nicht geschmälert. Gemeinde und Bauverein der Dreifaltigkeitskirche wollen mit einem Plus aus den Eintrittsgeldern die aktuelle Sanierung der Kirche mitfinanzieren. „Wir verstehen das Historienspiel als unseren Beitrag zum Reformationsjubiläum 2017“, sagte Christine Gölzer. Dann sei eine Wiederholung geplant. (kya) Einwurf

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