Speyer „Leiharbeit ist Sklavenarbeit“

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125 Jahre Kampf- und Feiertag 1. Mai: Die Tradition war gestern in der Walderholung greifbar. Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag, hat dem Kapitalismus auf Kosten von Arbeitnehmern, Arbeitslosen und Familien den Kampf angesagt und den Speyerer Gewerkschaftlern Mut zur Solidarität gemacht.

Walderholung, 9.30 Uhr: „Der liebe Gott ist nicht bei Verdi“, vermutet DGB-Stadtverbandsvorsitzender Axel Elfert mit Blick auf nasse Bierbänke. Zuversichtlich bauen Techniker Verstärker, Lautsprecher und Mikrofone auf der Freiluftbühne auf. Rundherum eröffnen Gewerkschafter, Bündnisse, Attac und Katholische Arbeitnehmerbewegung Infostände. Ehrenamtliche kochen Kaffee und tischen Essen auf. 10.05 Uhr: Drei Sicherheitsbeamte steigen aus der Limousine mit Berliner Kennzeichen. Von Gysi keine Spur. Das Wetter zwingt zur Verlegung der Maikundgebung ins Innere der Walderholung. Resignierte Techniker schleppen Rednerpult und sämtliche Elektronik ins Trockene. 10.15 Uhr: Der Saal ist zu klein für den Ansturm. Ganz hinten steht Oberbürgermeister Hansjörg Eger (CDU). Die Linken warten draußen auf Gysi. Elfert sorgt für Lautsprecherempfang an der frischen Luft. „Ob ich die Politiker sehe oder nicht, ist mir wurst“, sagt eine Frau und setzt sich unters Dach. 10.30 Uhr: Gysi ist da. Souverän gibt er jedem Fotowunsch nach, schüttelt Hände, lächelt und winkt, bis er den einzigen freien Stuhl im Saal erreicht. „Braune Ratten haben bei uns keinen Platz“, sagt Elfert. Gysi applaudiert. Als der Speyerer Gewerkschaftschef von Chancen auf dem Arbeitsmarkt nur noch mit Abitur spricht, von der Gefahr einer Monokultur sowie Geldbeutel abhängige Wohn- und Lebensqualität, klatschen alle. „Wir lehnen eine Vollbebauung des Kasernengeländes und der umliegenden Äcker ab“, betont Elfert in Richtung Ratstkoalition. Eine zweite Rettungswache, die Ansiedelung innerstädtischer Betriebe und eines Jugendtreffs in diesem Gebiet sieht er als richtig und zukunftsweisend an. Eger erinnert an die Eröffnung der Walderholung für vom Krieg gezeichnete Speyerer vor 99 Jahren. „Das hat nichts von seiner Aktualität verloren“, weist er auf zahlreiche Asylsuchende in der Stadt hin. Dass der Erlös aus dem Verkauf der traditionellen Nelken-Anstecker in diesem Jahr der Flüchtlingsarbeit zufließe, sei ein gutes Signal. „Speyer denkt global und handelt lokal“, sagt der OB und lädt den Bundes-Kollegen zum „Fest der Kulturen“ nach Speyer ein. Mindestens 90 will er werden, sagt Gysi. „Als Alterspräsident darf ich die Eröffnungsrede im Bundestag halten – ohne Redezeitbegrenzung.“ Die hat er in Speyer auch nicht. „Kommunen müssen investieren“, fordert er dafür Geld vom Bund. Beifall. Auch vom OB. „Für mich ist Leiharbeit moderne Sklaverei“, sagt Gysi. Angesichts befristeter Arbeitsverträge wundere ihn zunehmende Kinderlosigkeit nicht. Er prangert mangelnde Chancengleichheit und ein Schulsystem an, das ins 19. Jahrhundert gehöre. Gysi fordert gut ausgebildete Erzieher in gut ausgestatteten Kinder-Einrichtungen, Beitragsfreiheit inklusive gesundem Mittagessen, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, an die Staatsbürgerschaft gebundene Steuerpflicht, die Millionärssteuer und ein gerechtes Rentensystem. Sein Mikrofon versagt. „Habt Ihr hier DDR-Technik oder was?“, fragt Gysi und bekennt sich zu Europa. 10.44 Uhr: Die Maikundgebung ist zu Ende. Gysi muss schnell weiter zum Flieger nach Berlin. Auf dem Weg zum Auto lässt er sich fotografieren, lächelt, winkt und lässt die Speyerer im Regen stehen ... (kya)

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