Speyer Kinder sollen künftig Fingerabdrücke abgeben

„Terrorgefahr durch Zwölfjährige?“ Paul Neumann, Vorsitzender des Sprecherrates der Tschernobyl-Initiativen Rheinland-Pfalz, kann nur mit dem Kopf schütteln. Der Römerberger, seit Jahrzehnten auf allen möglichen Gebieten um Völkerverständigung bemüht, hat neuerdings ein zusätzliches Arbeitsfeld zu beackern.

Paul Neumann kämpft gegen eine EU-Anordnung. Danach sollen von Tschernobyl-Kindern, bevor sie zu Erholungsaufenthalten in Deutschland einreisen dürfen, biometrische Daten erhoben und Fingerabdrücke abgenommen werden. Ende des vergangenen Jahres forderte Paul Neumann in einem Schreiben an die Deutsche Botschaft in der weißrussischen Hauptstadt Minsk, alles dafür zu tun, dass diese Regelung aus dem Schengener Visakodex zurückgenommen wird. Neumann: „Schließlich handelt es sich ja nicht um Touristen, sondern um Kinder aus den durch den Reaktorunfall verstrahlten Gebieten, die zu Genesungsaufenthalten eingeladen werden.“ Bei der Einreise in die USA habe er eine ähnliche Prozedur erlebt und sei sich wie ein krimineller Analphabet vorgekommen. Herbe Kritik an der Neuregelung übt Neumann auf der Suche nach Unterstützung ebenso in Briefen an Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). In dem Schreiben an den Berliner Politiker warnt der Römerberger vor möglichen Folgen der „sehr großen Erschwernis“ bei Planung und Durchführung von Genesungsaufenthalten: „Diese Neuerung für die Erteilung von Visa könnte dazu führen, dass unsere wichtige humanitäre und friedensstiftende Arbeit erheblich nachlassen oder gar von vielen Initiativen ganz eingestellt werden könnte.“ Das Auswärtige Amt kündigt in seiner Antwort an, es werde in Brüssel auf Lösungen drängen, „die die Auswirkungen des Gesetzes auf die Antragsteller und die Initiativen so gering wie möglich halten“. Es geht aber offensichtlich davon aus, dass an der Entscheidung der zuständigen Kommission nichts mehr zu ändern ist. Eine ähnliche Einstellung ist in dem Schreiben der Ministerpräsidentin erkennbar. Sie spricht unter anderem den geplanten Einsatz mobiler Fingerabdruck-Abnahmegeräte durch Mitarbeiter der Botschaft vor Ort an und empfiehlt eine enge Zusammenarbeit mit der Botschaft in Minsk. Aktiv geworden ist Paul Neumann freilich nicht nur auf nationaler Ebene. Zusammen mit seiner Sprecherrats-Kollegin Gaby Möller (Böhl-Iggelheim) hat er vor kurzem auch ein Gespräch in Minsk mit Walerij Skakun geführt, dem Direktor des dortigen „Amtes für humanitäre Tätigkeit“, das Präsident Alexander Lukaschenko untersteht. Dabei ging es um die Zukunft der Tschernobyl-Hilfe. Für dieses Jahr gibt es in der Visa-Debatte allerdings noch einmal eine Atempause. Die Neuregelung, die schon ab Januar gelten sollte, tritt aller Voraussicht nach erst im Juni in Kraft, sodass ein Tschernobyl-Kind seine Einreiseerlaubnis bei frühzeitiger Beantragung noch ohne zusätzliche Kontrollen erhalten kann. Paul Neumann gibt sich damit freilich nicht zufrieden. Er weist auf die über 30-stündige Fahrtzeit der Erholungssuchenden von Weißrussland nach Deutschland hin, die sich künftig noch verlängern werde, wenn vor Grenzübertritt in Minsk biometrische Daten erfasst werden müssten. Neumann: „Da waren reine Technokraten am Werk. An die Kinder hat niemand gedacht. Ich kämpfe weiter.“ Auch die Vorbereitungen für den 25. Erholungsaufenthalt für diesmal 34 Kinder und ihre Betreuer aus Weißrussland in Berghausen laufen weiter. Sie sind auf Einladung des Tschernobyl-Kreises der Pfarrgemeinde St. Pankratius vom 5. bis 26. August zu Gast. Damit wurden seit 1991 weit über 800 Kinder in der Pfarrgemeinde betreut. (le)

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