Speyer freistoss:

Speyer

, Sonntagmorgen, kurz vor 10 Uhr, eine Bäckerei in der Innenstadt. Ein Speyerer Fußballfan, der gerne beim FC Speyer zuguckt, aber auch auf anderen Plätzen vorbeischaut, ist wie so oft mit seinem Fahrrad vorgefahren. Die Tüte mit den Brötchen oder Kaffeestückchen liegt schon auf seinem Tisch, während sich der ehemalige Lehrer des Hans-Purrmann-Gymnasiums noch bei einem Kaffee stärkt. Immer noch kurz vor 10 Uhr. Ein weiterer Speyer mittleren Alters schreitet wie so oft über den Postplatz, um sich in besagtem Laden mit einem Kaffee, manchmal mit Brezeln oder Croissants für den Arbeitstag einzudecken. Der Speyerer und der Speyerer kennen sich seit vielen Jahren von den Fußballplätzen der Region vom Sehen her. Mal grüßen sie sich nur, mal ist Zeit für ein wenig Fachsimpeln, so auch an diesem Morgen, während der neu hinzugekommene Experte noch schnell Milch aus einem Metallkännchen in den Pappbecher mit seinem anregenden schwarzen Heißgetränk gießt und dieses mit einem weißen Plastikdeckel versieht. „Wie geht Fußball aus?“, fragt der Am-Tisch-Sitzer? „Kaiserslautern?“, fragt der Kaffeekäufer zurück und gibt seinen Tipp für das Spitzenspiel der Zweiten Liga am Nachmittag bei Verfolger Karlsruher SC ab: „1:1.“ Der Am-Tisch-Sitzer stimmt mit einem im Brustton der Überzeugung ausgestoßenen „Ja“, versehen mit einem Kopfnicken, zu. Es entwickelt sich ein kurzer Dialog: dass die anderen an diesem Wochenende durchaus für den FCK gespielt haben, dass Konkurrent Darmstadt 98 in der Saison zwar erst dreimal, aber kurioserweise und zur Überraschung des Am-Tisch-Sitzers zweimal gegen Fortuna Düsseldorf verloren hat, so auch an diesem Wochenende, dass die Roten Teufel aufpassen und zuhause weiterhin so stark sein müssen, dass es bis zum abschließenden und 34. Spieltag spannend bleibt ... 13.30 Uhr: Der Am-Tisch-Sitzer sitzt nicht mehr am Tisch, weil die Bäckerei längst geschlossen hat. Der Kaffeekäufer sitzt am (Schreib)Tisch im Büro. Anpfiff im Wildparkstadion zu Karlsruhe, Abpfiff im Badner Land – 0:0. Unsere Fachmänner lagen zumindest von der Tendenz her richtig. Eine Putzfrau aus der Türkei tritt in einem Büro in Speyer ihren Dienst an. Mal kommt sie etwas früher, mal ein bisschen später, mal frühmorgens, mal spätabends, mal ruft sie an, um zu fragen, ob noch jemand arbeitet, mal übernimmt das einer ihrer Söhne, der mal beim TSV Towers Speyer-Schifferstadt Basketball gespielt hat und Aurel Popescu als guten Trainer schätzt. Er lässt sich dann gerne zurückklingeln, wenn die Luft rein ist und der Reinigungstrupp anrücken kann. Mal fährt sie mit ihrem Mann zur Arbeitsstätte, mal mit einem der Söhne, mal mit einer ihrer Freundinnen in wechselnder Besetzung. An diesem Abend ist alles etwas anders. Die Zeit vergeht, und die Frau kommt einfach nicht. Kein Telefonanruf, und dann ist sie plötzlich doch da, diesmal mit ihrem Mann mit der Kappe im Gesicht, nicht mit einem der Söhne. Sie erklärt dem Büro-Arbeiter, warum sie so spät ist: „Mein Sohn ist in der Moschee. Sie schauen dort Fußball auf einem großen Bildschirm, Fenerbahce gegen Besiktas. Wir hätten sowieso nicht früher kommen können.“ Ah, das heiße Istanbuler Stadtderby in der Süper Lig, der höchsten Spielklasse am Bosporus. Ihr Mann ist angeblich auch so ein Fußballverrückter, der ihrer Meinung nach immer am Fernseher guckt, egal was und wieviel kommt: „Erst kommt Fußball, dann ich“, sagt sie und winkt lachend ab. Und schon betritt auch ihr Mann das Büro. Er ist traurig, weil Besiktas gegen Fenerbahce verloren hat: „Für mich wäre es besser gewesen, wenn Besiktas gewonnen hätte“, meint er über das stets heiß umkämpfte Derby. Doch Besiktas hat es durch das 0:1 verpasst, wieder an Galatasaray, dem dritten Großklub am Goldenen Horn, in der Tabelle auf Platz eins vorbeizuziehen. Und schon fragt der Türke den Büro-Mann: „Wie hat Bayern gespielt?“ Als dieser kurz darauf ein „0:2 gegen Mönchengladbach verloren“ entgegnet, entfährt ihm ein „Oooh“ und seine Gesichtszüge hellen sich nicht wirklich auf. Dann schon eher seine Ankündigung: „Um 22 Uhr spielt Real Madrid gegen Barcelona.“

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