Speyer Die Bibel ist verbindlich

Von einem solchen Betreuungsverhältnis träumen Pfarrer des Bistums Speyer oder der evangelischen Landeskirche wohl an stressigen Tagen: Johan Bekker, der Pastor der Freien Evangelischen Gemeinde Speyer, ist für die überschaubare Anzahl von 53 Mitgliedern zuständig. Und die sind noch dazu sehr aktiv, denn die wichtigen Entscheidungen werden von allen gemeinsam getroffen, wie Pastor Johan Bekker erläutert.

Die Räume der Religionsgemeinschaft liegen über dem Einkaufszentrum „Marktkauf“ in der Auestraße. Neben dem großzügigen Gebetsraum für die Gottesdienste gehören dazu Gruppenräume, eine Küche und ein bunt und mit Spielzeug kindgerecht ausstaffierter Raum, in dem Kleinkinder betreut werden können, während ihre Eltern beim Gottesdienst sind. Die erste Freie Evangelische Gemeinde entstand 1854 In Wuppertal. Sechs Männer, darunter der Kaufmann Hermann Heinrich Grafe, der als Initiator und theologischer Vordenker gilt, gründeten sie. Anstoß war die Auffassung vom Abendmahl: Nur „Bekehrte“, also wirklich Gläubige, keine Mitläufer, sollten es zusammen feiern. Auch eine Kirchensteuer lehnte Grafe ab – als eine „heidnisch-ungläubige Zwangsmaßregel“. Nur freiwillige Zuwendungen dürfe es geben, nach dem zweiten Korintherbrief. Und eine Kirche als bloße formale Institution verleugne ihr Wesen. „Wir sind frei im Sinn einer freiwilligen Entscheidung, nicht durch die automatische Mitgliedschaft per Kleinkindertaufe“, sagt Bekker. „Wir sind evangelisch-reformatorisch in unserer Berufung allein auf die Bibel als verbindliches Wort Gottes, und wir sind Gemeinde, das heißt jede Gemeinde ist selbständig.“ Das Wichtigste sei: „Das Wort Gottes will nicht nur gehört, sondern gelebt werden.“ Johan Bekker selbst weiß, wie schwierig das sein kann. Er ist in Südafrika geboren und kam als Jugendlicher nach Deutschland. Hätte ihm jemand gesagt, dass er zu Glauben finden und Theologie studieren würde, hätte er denjenigen ausgelacht. Sekten sind die Freikirchen nicht, sie werden von den Landeskirchen als Ausprägung evangelischer Kirche anerkannt. Heute gehören bundesweit 471 Gruppen mit über 40.000 Gläubigen zum Bund der Freien evangelischen Gemeinden. Sie sind kongregationistisch organisiert: Die Selbständigkeit der Einzelgemeinde hat Priorität. Ein „Ältestenkreis“, derzeit sind es vier Personen, kümmert sich um die aktuellen Probleme. Als Bekker sich 2012 als Pastor bewarb, prüfte ihn dieser Kreis im Gespräch und schlug ihn dann der Gemeinde vor, die darüber abstimmte. Ebenso entscheidet die Gemeinde über die Aufnahme jedes neuen Mitglieds. Pastor Bekker ist Teil des Kreises, kann aber überstimmt werden. Er ist nicht der Leiter, sondern sieht sich als Glaubenslehrer der Gemeinde. Sein Metier ist die Predigt, die Auslegung des Gottesworts innerhalb und außerhalb des Gottesdienstes, der im Übrigen von Gemeindemitgliedern geleitet werden kann. „Frei“ heißt nicht, dass der Glaube locker genommen werden kann. „Der Mensch ist nicht Herr des Wortes Gottes, sondern Gott ist in seinem Wort Herr des Menschen“, zitiert Bekker einen Grundsatz der Freien evangelischen Gemeinden. So haben sich schon heiratswillige Geschiedene eine Absage eingehandelt, ebenso heiratswillige gleichgeschlechtliche Paare. „Gleichgeschlechtliche Paare können keine Ehe im biblischen Sinne schließen, ebenso gilt die Ehe als unauflöslich. Wir stehen da mit unseren Ansichten eher der katholischen Kirche nah.“ Einen Unterschied gibt es doch: Bei Geschiedenen kann die Gemeinde nach Abwägung allerdings eine Einzelfallentscheidung treffen. Sich so persönlich der Gemeinde zu stellen, kann schwer sein. „Wir hatten auch schon Mitglieder, die dann lieber ausgetreten sind“, so Bekker.

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