Speyer Bachs Passionen und wir

Bach unter der Buran: Das gibt es heute und morgen mit der Dommusik im Technik-Museum.
Bach unter der Buran: Das gibt es heute und morgen mit der Dommusik im Technik-Museum.

Kosmos und Kirchenmusik: Gedanken zu den Aufführungen der beiden Passionen von Bach am Wochenende in Speyer, wo auch die Raumfahrthalle im Technik-Museum bespielt wird.

Am 23. und 24. März gibt es ja Aufführungen der beiden großen Passionen von Johann Sebastian Bach in Speyer. Die Matthäus-Passion erklingt in der Dreifaltigkeitskirche mit der Speyerer Kantorei (siehe links) und bringt quasi das Bildprogramm in der Kirche zum Klingen. Die Dreifaltigkeitskirche ist gerade einmal zehn oder zwölf Jahre älter als die „große Passion“ des Thomaskantors. Raum und Musik sind in Übereinstimmung.

Die vor 300 Jahren uraufgeführte Johannes-Passion wird von der Dommusik (mehr Infos unter www.dommusik-speyer.de) heute um 19 Uhr und morgen um 16 Uhr an einem nichtsakralen, für Kirchenmusik besonderen Ort musiziert: in der Raumfahrthalle des Technik-Museums Speyer mit Raumfähre Buran, Sojus-Kapsel und Mondgestein. Auch die Verbindung mit Tanz im ganzen Raum ist ein neuer, moderner Zugang zu dem barocken Werk.

Die Sonne kleidet sich in Trauer

Natürlich geht es in geistlicher Musik immer um Himmel und Erde, um Physik und Metaphysik, um das Allumfassende. In den freien Dichtungen der beiden Bach-Passionen gibt es aber auch einige ganz konkrete Hinweise auf Himmelskörper, um deren Erforschung es ja in der Raumfahrthalle geht. In der Matthäus-Passion heißt es am Ende des ersten Teils in dem Duett von Sopran und Alt unter anderem: „Mond und Licht ist vor Schmerzen untergangen, weil mein Jesus ist gefangen.“ Und nach Jesu Tod ist ja auch von einer Sonnenfinsternis die Rede. Bach hat diese Passage aus dem Matthäus-Evangelium auch in die meisten Versionen seiner Johannes-Passion übernommen. Dazu reflektiert der Tenor in einem Arioso mit den Worten: „Mein Herz, in dem die ganze Welt bei Jesu Leiden gleichfalls leidet, die Sonne sich in Trauer kleidet, der Vorhang reißt, der Fels zerfällt, die Erde bebt, die Gräber spalten, weil sie den Schöpfer sehn erkalten, was willst du deines Ortes tun?“ Kosmische Ereignisse und persönliche Reaktion auf die Passion werden hier in Beziehung gesetzt.

Und wie verhält sich Raumfahrt zur Religion? Sehr vielfältig. Bei der ersten Mondumrundung wurde aus der Bibel vorgelesen. Und es gibt nicht wenige Astronauten, bei denen ihr Raumflug Anlass zu einer verstärkten Religiosität gab. So bei James Irvin, der Prediger wurde. Es war übrigens jener James Irvin, der bei Apollo 15 im Sommer 1971 den Mondbrocken abgeschlagen hat, der heute in Speyer im Technik-Museum zu sehen ist.

Gott in uns

Juri Gagarin, der erste Mensch im All, hat dagegen spöttisch bemerkt, er habe bei seiner Erdumrundung am 12. April 1961 im All keinen Gott gefunden. Das erzählte eine Lehrerin in Nebra in der Ex-DDR ihrer Klasse. Ein Schüler, ein Pfarrerssohn, bemerkte daraufhin, dass Gott ja in uns, in der Seele der Menschen wohne. Dieser Schüler war der spätere, unvergessene Thomaskantor Georg Christoph Biller, Bachs 16. Nachfolger im Amt.

Dass Bachs Passionen uns innerlich berühren und ergreifen sollen, ist völlig klar. „Bachs Konzept schließt kompromisslos jeden mit ein. Er bedient sich der Erzählung, der Meditation, der persönlichen Innenschau und der kollektiven Krise. Unsere eigenen inneren Konflikte werden uns als grundlegende Widersprüchlichkeiten der Welt vorgeführt, und die immer höheren Ebenen persönlicher und kollektiver Erkenntnis steigern das Gefühl persönlicher und kollektiver Verantwortung“: Das sagt der amerikanische Theatermacher Peter Sellars, der eindringliche „Ritualisierungen“ der beiden Bach-Passionen geschaffen hat. Sellars nennt das Erleben dieser Werke ein „überwältigendes Exerzitium des Mitleidens“.

Für heute und in Zukunft

In einem Gespräch vor den Baden-Badener Aufführungen der Johannes-Passion äußerte er mir gegenüber, dass Bach in diesem Werk mit seiner Botschaft Hörer heute und in allen zukünftigen Zeiten anspreche. Die Johannes-Passion sei wie eine Meditation und von einer einmaligen religiösen Kraft und Intensität. Dies eröffne ganz spezielle Dimensionen der Aussage. Es scheine fast so, als habe Bach eine Botschaft eingeschlossen, die sich erst für spätere Generationen voll erschließe, so Peter Sellars.

In diesem Sinn sind die Aufführungen der Bach-Passionen jetzt in Speyer eine ganz brandaktuelle und existenzielle Sache für uns alle.

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