Rhein-Pfalz Kreis Trommeln fürs Klimaziel

Er könnte in einem Orchestergraben die Pauke schlagen. Stattdessen klackert Jan Minx auf der Computertastatur und spielt im weltweiten Orchester der Wissenschaftler, die vor der Erderwärmung warnen und ihre Erkenntnisse für den UN-Weltklimarat bündeln. Dass Minx am jüngsten Klimabericht in einer Leitungsfunktion mitarbeiten würde, hatte er sich nicht ausgemalt. Und auch nicht, dass er mit 38 Jahren zum Professor berufen werden würde. „Dabei habe ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Ich wollte eigentlich nicht an der Uni enden“, erzählt der Professor für Angewandte Nachhaltigkeitsforschung an der Hertie School of Government in Berlin. „Aber ich habe das Lehren zu schätzen gelernt. Wissen weiterzugeben ist sinnstiftend, und man bekommt ein direktes Feedback.“ Deutete etwas darauf hin, dass sich der Bobenheim-Roxheimer der Klimafrage zuwenden würde? Er zuckt die Schultern: „Vielleicht, weil ich ein Kind der BASF bin. In meinem Umfeld haben alle dort gearbeitet“, fällt ihm ein. „Und ich erinnere mich an bunten Regen in Frankenthal.“ Dabei lacht er. Jan Minx will nicht mit dem erhobenen Zeigefinger herumlaufen. Früher vielleicht, doch heute rät er, man solle das tun, was einem am leichtesten fällt, um den eigenen CO2-Fußabdruck zu verkleinern. So verzichtet er aufs Auto, nutzt mit Frau und Tochter ein Lastenrad und versucht, das Fliegen zu vermeiden. „Um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, müssen die globalen Treibhausgasemissionen langfristig auf null reduziert werden. Da ist vor allem eine gute Weichenstellung der Politik gefragt.“ Denn wenn man die Erderwärmung nur mit Technologie in den Griff zu bekommen versuche, müsse man noch mehr Energie einsetzen. Wie er das so formuliert, spricht ganz der Wissenschaftler aus ihm. Dabei wollte Jan Minx Berufsmusiker werden, Perkussionist in einem Sinfonieorchester. Als junger Mann spielte er Schlagzeug in mehreren Bands und begann Musik zu studieren, bis ihn eine Sehnenscheidenentzündung resignieren ließ. Er wechselte zur Volkswirtschaftslehre mit Politologie in Köln und engagierte sich in einer Umweltgruppe – wegen der spannenden Gespräche. Mit seiner Musik pausierte er. Ein Gastprofessor setzte ihm den Floh ins Ohr, sich an der Universität im englischen York auf Umweltökonomie zu spezialisieren. „Das passte gut: Ich wollte etwas Relevantes machen, über Ressourcen als knappe Güter. Auch die Atmosphäre ist ein knappes Gut“, sagt Minx. Wissenschaftliche Politikberatung schwebte ihm als Beruf vor. Aus dem Auslandssemester wurden sechs Jahre, weil er den Doktor draufsattelte und in die lokale Musikszene eintauchte. Auf keinen Fall wollte er zurück nach Köln, wo 800 Studenten auf ihren Taschenrechnern herumdrückten, während in York ein Computerlabor für 30 Leute zur Verfügung stand. Wegen seiner Partnerin zog er vor acht Jahren nach Berlin, arbeitete an der Technischen Universität und stieg zum Professor auf. Das klingt nach steiler Karriere, doch der 39-Jährige erzählt von einer Sinnkrise, die viele Wissenschaftler kennen. Mühsam ist das Werben um Drittmittel. „Und es ist mühsam, ein kleines Rad zu sein, während man nicht sieht, welche Stunde die große Uhr schlägt.“ Das sollte sich 2011 ändern: mit seiner Arbeit für den Weltklimabericht der Vereinten Nationen. Hunderte Forscher tragen Lösungsvorschläge zur Erderwärmung zusammen, um den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß zu verringern. Zunächst verhagelt diese Aufgabe Minx’ CO2-Bilanz: Er fliegt kreuz und quer zu Versammlungen über den Globus, nach Nairobi, Wellington, Addis Abeba, Lima, Kampala, Kuala Lumpur ... Von den Ländern selbst sieht er kaum etwas, denn der Zeitplan ist straff. „Ich habe unter einer Klimaglocke gelebt: im Hotel“, sagt Minx. Doch er erinnert sich an die Herzlichkeit vieler Afrikaner und an hart verhandelnde Saudis. „Ihr Selbstbild ist anders, als wir meinen“, hat Minx gelernt. „Saudi-Arabien empfindet sich als verletzliches Land, weil sein Reichtum allein vom Öl abhängt.“ Als Koleiter der Geschäftsstelle einer Arbeitsgruppe muss er dafür sorgen, dass der dritte Teil des Berichts nach Zeitplan erarbeitet wird. Darin werden Lösungen für den Klimaschutz aufgefächert und die Kosten eingeschätzt – ein kontroverses Thema. Jan Minx vermittelt zwischen den Autoren, deren Egos groß sein können. „Hast du das etwa nicht gelesen?“, hört er ein Gespräch unter Koryphäen. Der andere antwortet: „Ich lese nicht, ich denke selbst.“ Jan Minx schreibt selbst. Als Gruppenleiter arbeitet er an der Zusammenfassung des Berichts mit. 2014 ist das Werk durchkomponiert. Der Moment der Premiere naht, wenn sich die Vollversammlung in Berlin einfindet und die Kurzversion von den Vertretern der 195 Nationen abgesegnet wird – oder auch nicht. Zwischen Wissenschaftlern und Politikern wird gerungen. Die Autoren kämpfen um ihre Lieblingssätze und dagegen, dass Inhalte verwässert werden. „Am Ende wird Satz für Satz in einer Woche durchgeklopft“, erzählt Jan Minx. 8000 Wörter in vier Tagen und Nächten. Wenn das Feilschen beendet ist, fällt der Hammer, und der Satz auf der Leinwand wird grün markiert. „Am Ende stimmt jedes Land jedem Satz zu. Es ist eigentlich nichts Neues, aber jetzt erkennen alle dieses Wissen an“, sagt Minx. Eine riesige Last fällt von dem Bobenheim-Roxheimer nach Monaten des Durcharbeitens. Wie er mit Begeisterung von diesem Schlüsselmoment erzählt, meint man, einen Trommelwirbel zu hören.

x