Rhein-Pfalz Kreis Der Traum vom Tanzen

WALDSEE. Andualem Ferensay ist einer, der sein eigenes Ding gemacht hat. Dafür musste er bezahlen: Während er im Oktober 2014 mit der „Destino Dance Company“ in Spanien einen internationalen Tanzwettbewerb gewann und Workshops abhielt, konfiszierte die Regierung zu Hause in Addis Abeba sein Geschäft und privaten Besitz. Er wollte seine Heimat nicht verlassen, doch nun gab es kein Zurück mehr. Deshalb reist der 30-jährige Äthiopier von Spanien direkt nach Deutschland und stellt Antrag auf Asyl aus humanitären Gründen. Seit Dezember bewohnt er in Waldsee ein Zimmer im Hotel Oberst. Winzig klein, vielleicht acht Quadratmeter, ist sein Reich und alles andere als behindertengerecht. Zwischen Bett, Schrank, Tisch und Stuhl bleibt kaum Platz, um sich umzudrehen. Mit viel Liebe und Hilfe von Susanne Hessert, seiner Patin vom Netzwerk Asyl, hat er den Raum in ein „Mikro-Apartment“ verwandelt. Seither verbindet die beiden eine tiefe Freundschaft, was für ihn ein Stück Sicherheit und Geborgenheit in einem Land bedeutet, das er gerne zu seiner neuen Heimat machen würde. Äthiopien vermisst er kaum. Zu schlecht sind die Bedingungen dort für behinderte Menschen. Dennoch, als er von seinem Bruder und den beiden Schwestern zu erzählen beginnt, kann er kaum weiter sprechen. Er erzählt von seiner Kindheit als ganz normaler Junge, der mit fünf Jahren plötzlich schwer krank in ein Krankenhaus gebracht wurde. „Dort hat mir eine Studentin eine Injektion gegeben und dann fing die Lähmung an.“ Das sei damals gar nicht so schlimm gewesen, denn Familie und Freunde haben ihn so akzeptiert. Dann starb kurz danach seine Mutter. Er musste sich mehreren Operationen unterziehen und verbrachte rund zwei Jahre im Krankenhaus und in einer Reha-Klinik. Trotzdem sind ein Arm und beide Beine weiter beeinträchtigt, er kann nur mittels zweier Beinschienen mit feststellbaren Knie- und fixierten Sprunggelenken sowie einer Krücke gehen. Mit 14 begann Andualem Ferensay eine Schul- und Berufsausbildung zum Schreiner bei der Ordensgemeinschaft Don Bosco in Addis Abeba, um sich eine selbstständige Existenz aufzubauen. Gerade fertig mit der dreijährigen Ausbildung, wurde die Schule geschlossen und auf dem Gelände ein Militärcamp eingerichtet. Mit Unterstützung von Don Bosco eröffnete er seine eigene Möbelwerkstatt. Glück hatte er mit dem Unternehmen allerdings nicht, denn sie lag zu versteckt im Gewirr der Gassen. Anschließende Versuche eine Anstellung zu finden scheiterten, weil kein Betrieb einen Behinderten wollte. Da er kein Geld hatte, lebte er im Waisenhaus. „Doch ich habe meinen Weg gefunden“, sagt er. Durch ein von der Nichtregierungsorganisation Ethiopian Gemini Trust gefördertes Projekt begann er zusammen mit Behinderten und Nichtbehinderten bei der „Adugna Dance Company“ seine Ausbildung zum Tänzer und Choreograph. „Wir haben Hip-Hop getanzt, aber auch traditionelle afrikanische Tänze“, erzählt er, „und ich habe gelernt, durch den Tanz auszudrücken, was meine Behinderung für mich bedeutet.“ Mit „Adugna“ reiste er zu Workshops und Auftritten nach Ghana, Tansania und Südafrika. Auch nach Deutschland war er eingeladen, bekam aber kein Visum. Mit finanzieller Unterstützung seiner Familie eröffnete er vor drei Jahren den nun enteigneten Damen-Friseur- und Schönheitssalon „Netsy“. Dann schloss die Regierung auch Gemini Trust. Ein Teil der Tänzer gründete dann vor zirka einem Jahr die „Destino Dance Company“. Ferensay bemühte sich um einen Trainingsraum, sollte dafür aber für die Regierungspartei Stimmen sammeln. Das lehnte er ab. Während seiner Abwesenheit wurde sein Besitz konfisziert, jetzt muss er in Deutschland einen Neuanfang wagen. Nach der Bewilligung des Asylantrags ist sein größter Wunsch, sobald wie möglich Arbeit zu finden, wieder eigenes Geld zu verdienen und sich eine behindertengerechte Wohnung leisten zu können. Patin Hessert unterstützt ihn dabei, auch mit konkreten Vorschlägen an die Gemeindeverwaltung Waldsee, um einen Berufseinstieg zu ermöglichen. Lieber heute als morgen würde er wieder mit dem Tanzen beginnen und eine Gruppe von behinderten und nicht behinderten Menschen anleiten. Doch es fehlt dafür noch ein passender Raum. Spontan zeigt er auf dem Hotelboden, wie er tanzt. Mit konzentrierter Miene, den Blick ganz nach innen gekehrt, beginnt er mit Bewegungen, die fließend ineinander übergehen und trotz der Körperbehinderung in einer unglaublichen Akrobatik gipfeln. Seine Geschichte erzählt Andualem Ferensay noch auf Englisch. Seit wenigen Wochen ist er jedoch stolzer Besitzer eines gebrauchten Handbikes, das mit den Armen angetrieben wird. Seine Patin hat es für ihn gefunden, über den Förderverein des Kreises wurde es finanziert und von Jürgen Fink wieder fahrtüchtig gemacht. Dank dieser Mobilität kann er vielleicht schon bald – statt des Kurses im Hotel – einen umfangreicheren Deutschkurs in Speyer besuchen. Und seit einigen Tagen hat er endlich einen Behinderten-Ausweis, mit dem er Bus fahren darf.

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