Pirmasenser Brunnen Warum der „Wasserdieb“ vom Amtsgericht eigentlich nie funktioniert

Konzipiert hat die Skulptur der russische Künstler Vadim Kosmatschof.
Konzipiert hat die Skulptur der russische Künstler Vadim Kosmatschof.

Die Skulptur im Hof des Amtsgerichts stammt aus dem antiken Griechenland und soll eine gerechte Verteilung von Redezeit vor Gericht symbolisieren. Wenn sie denn funktionieren würde.

Auf den ersten Blick sieht die Skulptur vor dem Pirmasenser Amtsgericht aus wie ein Bildnis der griechischen Göttin Justitia mit Waage. Doch es zeigt nicht die antike Göttin der Gerechtigkeit mit ihren ausgleichenden Waagschalen. Und doch hat die Skulptur im weitesten Sinne mit Gerechtigkeit zu tun – nämlich mit der gerechten Verteilung der Redezeit der Anwälte vor einem Gericht in der Antike.

Klepsydra heißt die Skulptur. Das ist altgriechisch und heißt übersetzt „Wasserdieb“. Der Begriff bezeichnete eine im antiken Griechenland gebräuchliche Wasseruhr. Mit dieser Wasseruhr versuchten die Griechen, der Schwatzhaftigkeit einiger Anwälte und Laienrichter Herr zu werden. Sobald ein Redner zu sprechen begann, wurde die Wasseruhr aktiviert. Eine Partei durfte daher nur solange von ihrem Rederecht Gebrauch machen, wie das Wasser brauchte, um von einem Auslaufbehälter in einen Einlaufbehälter zu fließen. Wenn der Auslaufbehälter leer war, war denn auch die Sprechzeit des Anwalts, oder wem auch immer, beendet. „Beim Amtsgericht Pirmasens findet eine derart gestaltete Begrenzung des Rederechts nicht statt“, kommentiert Sabine Schmidt-Wilhelm, die Direktorin des Amtsgerichts, die historische Funktion der Klepsydra. Bei optimaler Funktion dauert es acht Minuten, bis das Wasser seinen Behälter gewechselt hat.

Sowjetische Idee, Bundenthaler Handwerk

Konzipiert hat die Skulptur der weltweit bekannte russische Künstler Vadim Kosmatschof, der 1979 nach Wien emigrierte. Der Künstler, der von 1984 bis 2010 in Deutschland lebte, gilt als einer der Hauptvertreter der Moderne in der sowjetischen Monumentalkunst. Er gewann zahlreiche, auch internationale, Wettbewerbe. Das schien Mitte der achtziger Jahre auch der Pirmasenser Justiz nicht verborgen geblieben zu sein. Ein Preisrichtergremium, dem auch der damalige Amtsgerichtsdirektor Helmut Glöckner angehörte, vergab die künstlerische Gestaltung im Zuge des Um- und Anbaus beim Amtsgericht an Kosmatschof. Gebaut hat Kosmatschof indes das Werk nicht selbst, sondern der Bundenthaler Oswald Fröhlich. Der vor vier Jahren verstorbene Fröhlich führte einen metallverarbeitenden Betrieb in der Gemeinde an der Wieslauter. Kupfer und Edelstahl waren die von ihm verwendeten Materialien. „Es ist zwar schon lange her, aber ich weiß noch, dass er schon stolz darauf war, die Skulptur bauen zu dürfen, denn es war doch etwas Besonderes“, sagt die Witwe des Klepsydra-Erbauers.

Das neue Behördenhaus war 1987, die Klepsydra 1988 eingeweiht worden. Damals war Ernst Schirra der aufsichtsführende Beamte beim Amtsgericht. Er sagt: Bei solch einem Objekt sei „Kunst am Bau“ obligatorisch gewesen. An den Brunnen indes hat er nur noch wenig konkrete Erinnerungen. Nur soviel: „Meistens ist er nur noch im Sommer gelaufen.“ Und RHEINPFALZ-Mitarbeiter Bernd Danner, ehemals Beamter am Gericht, weiß: „Da waren nicht selten Arbeiter mit einer Leiter zugange.“ Die Klepsydra arbeitete mit einer hydraulischen Anlage mittels Öl. Und diese Konstruktion reagierte temperaturabhängig mal langsamer und mal schneller. Dadurch dauerte es nicht wie vorgesehen stets acht Minuten, bis das Wasser vom Auslaufbehälter im Einlaufbehälter angekommen war, sondern deutlich länger; nämlich wenn die Kälte das Hydrauliköl zäher fließen ließ. Bis zu 30 Minuten habe sich die Laufzeit des Wassers verlängern können. Und das Öl sei auch öfters der Grund für monatelange Stillstände gewesen. Wann der Brunnen zuletzt komplett funktionierte, konnte beim Amtsgericht niemand sagen. Auch das Landesamt Liegenschaft und Baubetreuung, die Eigentümerin des Amtsgerichtsgrundstück, konnte der RHEINPFALZ auch nach Wochen keine Antworten geben.

Die Serie

Einst waren sie lebensnotwendig, heute sind sie meist nur noch Zierde, ein Genuss für Seele und Auge und manchmal eine willkommene Gelegenheit, sich zu erfrischen: Brunnen. Jahrhunderte dienten die sprudelnden Quellen unseren Vorfahren nicht nur zur Versorgung mit Trinkwasser, sondern sie wurden auch als Viehtränke und Waschzuber genutzt. Das ist heute ganz anders. In der Serie stellen wir Pirmasenser Brunnen vor.

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