Pirmasens Stummfilmmusik

Hanns Eisler, obgleich Filmkomponist, hielt nicht viel von Stummfilmmusik und notierte: „Filmmusik quatscht wie ein altes Weib“. Doch schon bei den Pionieren des Lichtspiels, den Gebrüdern Lumière, war von der ersten öffentlichen Präsentation ihrer neuen Erfindung im Jahre 1895 an die musikalische Untermalung ein unverzichtbarer Bestandteil der Vorführung. Der ratternde Projektor nämlich musste von der Begleitmusik eines Klavierspielers übertönt werden.

Vor allem aber war und ist Filmmusik, selbst nach der Durchsetzung des Tonfilms gegen Ende der 20er Jahre, dazu da, die dramatische Wirkung der bewegten Bilder zu steigern. Damals, als die Bilder laufen lernten, oblag diese Aufgabe tatsächlich meist dem „Mann am Klavier“. Besonders in den in Kleinstädten aus dem Boden sprießenden Kinematographen klimperte der oft schlecht bezahlte Solopianist bis in die späte Nacht sein Repertoire herunter. Meist handelte es sich um Kompilationen aus populären Opernstücken, um Märsche, Kinderlieder und Tänze, die der Klaviersolist mit mehr oder weniger geschickter Improvisation den „Taubstummenunterhaltungen“ (wie Ludwig Thoma spottete) und dem Timing der Szenen anpasste. „Man weiß, dass das Harmonium im Tremolo spielen muss, wenn sich der Sohn des Hauses erschossen hat“, schrieb Ernst Bloch, der wie viele Intellektuelle das „Theater der kleinen Leute“ kritisch beäugte. Später wurden zusammen mit den Filmkopien sogenannte „cue sheets“, Listen mit der Abfolge der auf die Szenen zugeschnittenen Musikstücke, an die Lichtspielhäuser geliefert. Mit der Entwicklung der Filmkunst entstanden neben dem volkstümlichen Kientopp bald monumentale Filmpaläste mit Kapellen, Orgeln und Orchestern mit über 100 Instrumentalisten, Chören und Vokalsolisten. Die Uraufführung von Großfilmen wie „A Birth of a Nation“ (1915), „Panzerkreuzer Potemkin“ (1925), oder „Berlin – Die Symphonie der Großstadt“ (1927) war durchaus glanzvollen Opernpremieren vergleichbar. Arrivierte Künstler wie Dmitri Schostakowitsch, Erik Satie, Camille Saint-Saëns, Paul Hindemith und Richard Strauss komponierten anspruchsvolle, sinfonische Filmmusik, die integraler Bestandteil des Kunstgenusses war. Im Tonfilm hatte die Konkurrenz des gesprochenen Wortes die Wichtigkeit des Soundtracks trotz filmischer Evergreens wie „Que serà“ oder „Moon River“ lange verdrängt. Doch gerade in den letzten Jahren feiert sinfonische Filmmusik ihre Wiederauferstehung und scheint sich zu einem eigenständigen Ohrenkino zu entwickeln. Das beweisen etwa die vielen Aufführungen der „Herr der Ringe“- oder „Harry Potter“-Musiken in Opern- und Konzerthäusern. Das neue Bewusstsein für Filmmusik geht Hand in Hand mit der Wiederentdeckung der Stummfilmästhetik. Seit den späten Achtzigern blühten Stummfilmfestivals auf, sind Stummfilme mit Live-Klavierbegleitung sehr beliebt. Der französische Neo-Stummfilm „The Artist“ wurde 2012 gleich mit fünf Oscars ausgezeichnet. Die Gründe für diese Faszination sind für Stummfilmkomponist Stephan Graf von Bothmer nicht nur nostalgische: „Ich denke, der wesentliche Grund liegt im Stummfilm selbst: Durch reine Bilderflut mit Livemusik kann man in Rauschzustände geraten“.

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