Pirmasens Kunst mit der Kettensäge

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Für besonders feinsinnige Kunstliebhaber, die dazu vielleicht auch noch empfindliche Ohren haben, ist Müllers Arbeitsweise bestimmt nicht das Richtige. Der Rodalber ist nämlich ein Freund von schwerem Gerät. Er nähert sich Holz nicht mit Meißel und Feile oder ähnlich filigranem Werkzeug, sondern mit Kettensägen. Das ist sogar vom anderen Ende der Bahnhofstraße aus zu hören und man kann es sehen, lange bevor der viereinhalb Meter hohe Baumstumpf in Sicht kommt. Weil eine riesige Fahne aus Spänen und fliegenden Holzteilchen über den Gleisen steht. Bei so viel Action ist es kein Wunder, dass Fußgänger, Rad- und Autofahrer sich die Köpfe verrenken, wenn sie am Open-Air-Atelier vorbeikommen. Manche bleiben stehen und nehmen sich Zeit, um das merkwürdige Treiben eine Weile zu beobachten. Die meisten sind von der werdenden Skulptur ziemlich angetan. „Ich finde es toll, dass hier in Rodalben mal etwas Kreatives passiert“, sagt einer. „Und dass der alte Baum mit seiner ganzen Geschichte nicht einfach umgesäbelt wird.“ Damit fasst er die Gedanken von Stephan Müller ziemlich gut zusammen. Der hatte die alte Kastanie am Bahnhof zwei Jahre lang unter Beobachtung, bevor plötzlich alles ganz schnell gehen musste. Jeden Tag kam er auf dem Weg vom Atelier nach Hause an dem Baum vorbei und sah, dass es um ihn nicht mehr allzu gut stand. „,Irgendwann muss der weg’, habe ich immer gedacht“, erklärt der Künstler. Als es im Dezember 2013 endlich so weit war, kam das für ihn trotzdem überraschend. Eines Tages sah Müller, dass Arbeiter dabei waren, den Baum zu fällen. Da rief er spontan beim Beigeordneten Wolfgang Denzer an und bat ihn, die Notbremse zu ziehen. Denzer tat genau das. Da der Stumpf allein keine Gefahr darstellte, blieb er stehen und Müller hatte Zeit, sich zu überlegen, was er aus dem Material machen will. Relativ schnell kam er auf den Gedanken, dass das Werk etwas mit der Geschichte des Baums zu tun haben soll, der immerhin schon seit 150 Jahren an dieser Stelle steht und einiges miterlebt hat – unter anderem diverse Herrscherwechsel. Genau die will Müller nun abbilden und hat mit dem Herausarbeiten eines fiktiven, müden Herrschers auf seinem Thron begonnen. In vier Metern Höhe schält sich dessen Gestalt mittlerweile gut erkennbar aus dem Baumstamm. Die Dimension des Werks ist für den Künstler Neuland. „Ich arbeite seit 20 Jahren mit Holz“, sagt er. „Aber so eine große Skulptur habe ich noch nie gemacht. Das ist eine Premiere.“ Natürlich hat es Vorteile, dass sich Müller mit Holz bereits bestens auskennt. Die Beschädigung einer ersten Säge durch Fremdkörper im Baumstumpf hat ihn ebenso wenig aus der Bahn geworfen wie die Tatsache, dass sich an einer Stelle ein großes Loch mit Mutterboden auftat. Wegen der Ausmaße des Unterfanges gerät er aber trotzdem an seine Grenzen. Vor allem was das Werkzeug betrifft. Aus dem Grund kam es vergangenen Mittwoch zu einer weiteren Premiere: Georg Klein und Sina Braunert von der Firma „Die Baumprofis“ aus Vinningen rückten an, um mit dem passenden Gerät auszuhelfen. Zum Beispiel mit einer Kettensäge, die ein paar Nummern größer ist als die von Müller. Unter dem zentimetergenauen Dirigat des Künstlers schwang der Baumprofi unter anderem eine Elf-Kilo-Säge mit 90 Zentimeter langem Schwert und entsorgte jede Menge überschüssiges Holz. Was er dabei genau tat und wie die Skulptur am Ende eigentlich aussehen soll, wusste Klein zwar nicht, fand es aber trotzdem richtig gut, bei seinem Freundschaftsdienst für Müller aus einem Baum mal was anderes als Brennholz zu machen. „Für mich ist das jetzt schon ein Kunstwerk“, meinte er schmunzelnd. Und Braunert ergänzte: „Wenn er jetzt aufhören würde, wäre es eigentlich auch schon schön genug.“ Tatsächlich hat Müller seit vergangener Woche schon einiges geschafft. Vor allem an kniffeligen Stellen – wie beim Gesicht des Herrschers – fragt sich ein Stück weit, wie so etwas mit einer Kettensäge überhaupt bewerkstelligt werden kann. Fertig ist die Skulptur aber noch lange nicht. Und vor allem: Ihre Zukunft ist nicht gesichert. „Ich bin sehr froh, dass ich kostenlose Unterstützung von Firmen wie ,Die Braumprofis’ und Remmers aus Pirmasens bekomme. Ich brauche Sponsoren, weil die Finanzierung des Projekts ja bisher nicht gesichert ist“, betont Müller. Von Anfang an ist nicht klar gewesen, ob der Herrscher und sein Thron überhaupt in Rodalben bleiben können. Zwar würde das Werk nirgends so gut passen wie an der Stelle, an der der Baum seit 150 Jahren steht. Allzumal Müllers Werk ja auch die Geschichte der Region aufgreifen soll. Die Stadt hat jedoch bereits mehrfach Bedenken geäußert, die 15.000 Euro aufbringen zu können, auf die Müller den Wert der Skulptur schätzt. Falls er von anderer Stelle ein Angebot bekommen sollte, wird der Künstler also kaum „Nein“ sagen. Im schlimmsten Fall muss der müde Herrscher von Rodalben also mitsamt seinem Thron irgendwann an einen Ort umziehen, an dem man sich Männer von seinem Format heutzutage noch leisten kann. (yns)

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