Pirmasens „Im Laufe der Zeit ein heiteres Gemüt entwickelt“

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Ziemlich genau fünf Jahre ist es her, da hatte sie die Kapazität des kleinen Kulturcafés „Pünktchen und Anton“ bis an die Grenze ausgelastet. Jetzt kommt der Travestiestar Lilo Wanders mit seinem Programm „Sex ist ihr Hobby – eine eindeutige Show“ am Samstag, 15. Oktober, ab 20 Uhr in den großen Saal der Kulisse zurück nach Pirmasens. Unser Mitarbeiter Fred G. Schütz unterhielt sich mit Lilo Wanders über Sex, Liebe, das Altern und die Angst vor dem Tod.

Mit wem spreche ich jetzt – Ernie Reinhardt oder Lilo Wanders?

Immer nur Lilo. Vielleicht so: Lilo Wanders wird verkörpert von dem Hamburger Schauspieler Ernst-Johann „Ernie“ Reinhardt. Die Meinungen sind eh deckungsgleich. Sie beobachten ja auch intensiv, was politisch vor sich geht. Noch vor zwei Jahren hätte man annehmen können, alles wird liberaler, offener. War das ein Irrtum? Das ist ein ganz großes Thema. Ich bin ein sehr liberaler Mensch, habe auch Verständnis für fast alle – nicht für alle, aber für viele. Zum Beispiel habe ich Verständnis für die Sorgen der Menschen, die durch die Flüchtlinge ausgelöst werden. Ich habe auch Verständnis, dass das in Ostdeutschland so ist, dass die „Idylle“ scheinbar gestört ist. Das macht einen ganz wirr, dass man sagen muss, wir sind ein Volk von 80 Millionen und wir werden doch wohl verkraften, dass wir eine Million Menschen aufnehmen. Das ist in viel schlimmeren Zeiten auch gelungen, nach dem Krieg sind es elf oder 13 Millionen gewesen, die gekommen sind und integriert wurden. Wir haben das Ende der DDR verkraftet – alles fein. Trotzdem verstehe ich die Ängste. Ich persönlich fühle mich nicht bedroht. Ich habe eine internationale Familie und finde das als eine Bereicherung meines Lebens. Ich habe Geflüchtete zu Weihnachten bei mir auf dem Hof gehabt und bin mit zweien von ihnen immer noch in engem Kontakt – das sind gebildete Leute aus dem Iran. Aber ganz wichtig: Ich will mir meine Liberalität nicht kaputt machen lassen, ich will so freiheitlich in Herz und Hirn bleiben, wie ich mir es erarbeitet habe. Sie waren ja schon zwei Mal in Pirmasens. Es war eine große Überraschung, dass Sie damals weit weniger den Boulevard bedient haben, als man vielleicht erwartet hätte. Zu erleben war jemand, der sehr gebildet und sehr belesen ist, eher ein nachdenklicher Mensch. Ich bin dann doch schon irgendwie gespalten – in den öffentlichen Menschen, der auch teilweise den Mainstream bedient, und den privaten Menschen. Ich kenne mein Metier, ich weiß, was das Publikum haben muss, damit ich es einfangen kann. Ob man das aus Narzissmus macht oder aus Berufung – das ist noch ein anderes Thema. Aber ich weiß, wie ein Abend ablaufen muss, damit er die Leute zum Lachen bringt und irgendwo auch anrührt. Das bedeutet, dass ich manchmal eine Obszönität loslasse, und die Leute lieben es; dann kann ich aber auch im übernächsten Satz etwas Tiefgründigeres unterbringen – dann hören sie mir auch zu. Ich kenne die Tricks. Wenn ich nicht auf der Bühne oder vor der Kamera stehe, führe ich ein sehr zurückgezogenes Leben. Schaut man auf den Tour-Plan, dann ist das ein ziemlich eng gepacktes Programm. Das ist ja auch physisch anstrengend. Wie halten Sie sich fit? Ich mache gar nichts. Ich trinke gerne und rauche auch noch genauso gerne. Aber ich habe im Laufe der Zeit ein heiteres Gemüt entwickelt, unter anderem weil ich viel Ballast abgeworfen habe – auch körperlichen Ballast; ich habe 18 Kilo abgenommen. Die Auftritte und das Lampenfieber sind schon sehr anstrengend, aber ich bin auch sehr diszipliniert. Sie sind ja mit drei Programmen unterwegs. Wie wählen Sie aus, was wo gespielt wird? Das macht eigentlich meine Agentur. Die entscheidet, was sie anbietet. Wenn wir einen neuen Ort haben, dann fangen wir mit dem Sex-Programm an, damit ich noch zweimal wiederkommen kann. Ich war ja schon zweimal im „Pünktchen und Anton“ vor einem relativ kleinen Kreis. Aber es kann auch passieren, wie neulich, als ich im Osten unterwegs war, da haben ich und das Publikum uns gegenseitig so hochgeschaukelt, dass ich alle drei Programm auf einmal gemacht habe. Sie gehen recht offensiv mit dem Älterwerden um, Sie sind jetzt 61. Ist das etwas, was Ihnen nahe geht? Ja, aber einerseits wird man da ja von außen definiert. Andererseits merkt man das natürlich auch selbst. Wenn ich nachmittags 20 Minuten dösen kann, geht es mir besser, als wenn ich es nicht kann. Dann ist es auch dem Publikum geschuldet. Ich wollte weg von diesen ewigen Sex-Themen – auch im Alter gibt es Sex, natürlich. Darüber spreche ich auch. Es geht aber auch darum, dass mein Publikum mit mir älter geworden ist. Ich hatte schon ein 90-jähriges Ehepaar im Publikum. Und, auch das ist eine Tatsache: Junge Leute gehen gar nicht mehr zu solchen Abenden – nur ein Bruchteil ist unter 30, meistens aber 40 plus. Frauengruppen, die gerade ohne Kerl sind, 50-jährige, die immer noch verheiratet sind, ein paar Schwule, ein paar Lesben. Mich kennt ja auch kaum noch jemand unter 27. Mein Publikum spiegelt aber die Bevölkerung wieder, zu 90 Prozent sind es Heterosexuelle. Es gibt dann hin unter wieder mal Geständnisse, weil man mir sehr schnell was erzählt. Heute ist Sex über das Internet in jeder Spielart zumindest virtuell verfügbar. Trotzdem gibt es immer noch Bedarf für Sex-Aufklärung für Erwachsene. Die Anatomie sollte doch bekannt sein? Die Anatomie vielleicht, die körperlichen Vorgänge aber kaum. Deshalb habe ich ja auch mal ein Buch geschrieben für Kids ab 14. Da wächst eine Jugend nach, die Zugriff auf Internet-Pornografie hat, aber nichts weiß über den Zyklus der Frau. Das ist die eine Seite. Die andere ist dieser Zugriff auf Pornografie; vielleicht bin ich ja naiv, aber ich glaube wirklich an einen inneren Regulator, dass man erkenn, dass das mit dem Leben nichts zu tun hat. Die Frage nach der Liebe wird natürlich auch nicht beantwortet. Diese Antwort muss man selbst suchen. Wir haben zwei große Themen im Leben: Liebe/Sexualität/Erotik und die Angst vor dem Tod, vor dem Verschwinden, vor dem Nicht-mehr-da-sein und in die Bedeutungslosigkeit zu geraten. Die Angst vor dem Tod kann man durch die Liebe und die Sexualität überwinden, zumindest für den Augenblick. In der Ekstase, wenn es eine richtige ist, dann ist das das Schönste was es gibt. Viele Menschen ahnen es, aber sie erleben es nicht. Deshalb forschen sie weiter. Warum sollte man unbedingt in die Show kommen? Wenn sie einen Abend voller Lachen und Selbsterkenntnis erleben wollen, dann sollten sie sich das ansehen. |tz

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