Pirmasens Entführung aus der Gegenwart

Von Regisseur Heinz Hellberg entstaubt, aber doch immer noch unverkennbar der „Walzertraum“ von Oscar Straus.
Von Regisseur Heinz Hellberg entstaubt, aber doch immer noch unverkennbar der »Walzertraum« von Oscar Straus.

Tanz, Gesang und Liebelei: Eine Operette ist immer Garant dafür, um das Hier und Jetzt vorübergehend zu vergessen. Das gefällt dem Publikum – auch dem Pirmasenser. Und so strömten 630 Besucher am Montag in die Festhalle, um mit dem bittersüßen „Walzertraum“ von Oscar Straus in sorglose zweieinhalb Stunden abzutauchen.

Regisseur Heinz Hellmann hat die Operette in drei Akten, die am 2. März 1907 am Wiener Carltheater uraufgeführt wurde, für die aktuelle Spielzeit ordentlich entstaubt. Das gilt nicht nur für die preußische Umgebung im Stück, der ordentlich Wiener Flair eingehaucht wird, sondern auch für die Rolle von Leutnant Niki, in die Stefan Reichmann schlüpft. Zwangsweise, wie das Publikum beobachten kann. Denn der junge Tenor wird regelrecht ins Walzerland entführt, genauer gesagt nach Preußen. Die Figuren der Operettenwelt überfallen ihn im Schlaf und stecken in die Rolle von Leutnant Niki, genauer gesagt in sein Kostüm, eine Uniform, und zerren ihn in den ersten Akt der Operette. Dabei schwärmt er im realen Leben eher für „The Walking Dead“, einer US-amerikanischen Fernsehserie, die die Geschichte von wenigen Überlebenden nach einer weltweiten Zombie-Apokalypse erzählt. Das verrät eine Requisite, ein Poster über seinem Bett. Die blecherne Stimme des königlichen Schwiegervaters und blau-violettes Licht sorgen für die passende alptraumartige Atmosphäre. Niki ist in einen Rausch geraten, aus dem er erst wieder im Finale erwacht. Diese dramaturgische Klammer ist konsequent gelungen, besonders, weil der junge Mann zum Schluss wieder in seinen Alltag katapultiert wird. Als er aufwacht, lacht er mit seinem Freund, der ihn als Leutnant Montschi (Alexander M. Helmer) ins Operettenland begleitete, welch verrückte Sachen er geträumt hat. Doch im Traum dreht sich alles nur noch um den Wiener Walzer, heimelige Gefühle und Mehlspeisen, auf die es besonders die Schlagzeugerin Fifi abgesehen hat, die von Susanne Hellberg mit viel Witz verkörpert wird. Immer wieder erhascht die Frau mit der feuerroten Perücke Lacher, wenn sie betont, wie groß ihr Hunger nach Apfelstrudel und einem Mann ist. Die Geschichte hinkt zwar etwas: Mann wird mit einer schönen, reichen und mächtigen Frau zwangsverheiratet, trifft aber Franzi Steingruber (Elisabeth Hillinger), die eine Wiener Damenkapelle leitet, und deren Charme er sofort erlegen ist. Und auch den Pirmasensern gefällt die unbeschwerte Dame mit ihrem samtigen Sopran. Als seine Frau Helene das erfährt, gibt sie sich verständnisvoll und gewinnt ihren Gatten gerade mit Hilfe von Franzi, die auf ihre Liebelei mit dem Prinzgemahl verzichtet und der Ehe mit Tipps und Tricks zur Seite steht. Wienerischer soll die Preußin sein. Aber es geht ja nicht um Logik, sondern um die schöne heile Welt. Dafür machen die Lieder um so mehr Spaß, die vom Orchester der Operettenbühne Wien unter Leitung von Laszlo Gyüker gespielt werden. „Ich habe einen Mann, einen eigenen Mann“, das die Wienerin Ella Tyran alias Prinzessin Helene mit ihrem hohen und klaren Sopran vorträgt, oder das Duett „Piccolo! Piccolo!“ zählen zu den gesanglichen Höhepunkten. Wer auch ordentlich beklatscht wird, ist Graf Lothar, humorvoll gespielt von Jan Reimitz. Sein Ass im Ärmel sind die Stepptanzeinlagen, die er auch schon mal in den Marschschritt integriert, den er dem Wiener Prinzgemahl beibringen will – oder muss. „Strammer“, kommandiert er den frischgebackenen Bräutigam, während er selbst den Stepp im Blut hat, der ihn ständig überkommt. Dass keiner einen klaren Blick auf die Dinge hat, zeigen die Zerrspiegel im Preußentum, die gesprungen und angelaufen sind. Zeitgemäß wird es dann mit dem Thema Brexit. Ganz Europa würde über Joachim XIII, den regierenden Fürsten von Flausenthun (Viktor Schilowsky), lachen, weil er nicht imstande sei, seine Dynastie zu sichern. Graf Lothar weiß es besser: Die EU habe momentan ganz andere Probleme. Das Publikum schwelgt im Happy End und im Dreivierteltakt und spendet dem Ensemble mit den schönen Kostümen viel Applaus – auch wenn einige Stimmen behaupten, die Musik sei viel zu dünn aus dem Orchestergraben gedrungen.

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