Neustadt Zwischen Schütz und Bach

«Neustadt.» Prachtvoll sang der Neustadter Figuralchor am Samstagabend in der Stiftskirche unter Leitung von Fritz Burkhardt geistliche Musik der Barockzeit; Simon Reichert begleitete den Chor vorzüglich an der Orgel und steuerte klar strukturiert Orgelmusik der gleichen Zeit bei.

Das Programm überspannte das Jahrhundert zwischen den beiden Großen der Musikepoche, Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach. Schütz ist im Jahr 1585 geboren; Bach 1685. Insofern war es vom Programmaufbau her sinnvoll, ein bedeutendes Werk von Schütz an den Anfang und eine der herrlichen Motetten Bachs an den Schluss zu setzen. Aufführungstechnisch verlangte es allerdings vom Figuralchor ein wenig zu viel: Der Beginn des Deutschen Magnificats aus Schützens Schwanengesang ist strukturell und rhythmisch sehr komplex, die beiden vierstimmigen Chöre müssen passgenau ineinandergreifen, und hier dauerte es in der Tat einige Takte, bis diese Harmonie hergestellt war. Dann aber war die Hörfreude groß: Burkhardt führte den Chor straff und präzis, der Vortrag war kraftvoll und durchscheinend, die Soprane strahlten und leuchteten, dass es eine Freude war, die Männerstimmen – bei anderen Chören oft schwach besetzt - entfalteten sich sonor, die Deklamation war prägnant und dynamisch reich abgestuft. Dass ein von Burkhardt geleitetes Ensemble stilistisch richtig liegt, versteht sich von selbst. Allerdings zeigte sich schon hier im Magnificat ebenso wie an anderen Stellen, freilich immer nur leicht, eine gewisse Bedrohung des Wohlklangs: Der Chorgesang wirkte stellenweise etwas angestrengt. Das lag zumindest teilweise am durchweg raschen Tempo. Schnelles Singen geht immer auf Kosten der klangbildenden Vokale, denn an den eher geräuschhaften Konsonanten lässt sich kaum etwas kürzen. Je schneller zu singen ist, desto anstrengender wird es, noch Klang zu entfalten. Ein klein wenig langsamer und insgesamt ein klein wenig leiser gesungen, hätte die Musik immer noch große Lebendigkeit und mitreißende Kraft entwickelt und sich überdies auch vorteilhafter in den drei Gewölbeschiffen der Stiftskirche ausgebreitet. Aber, wie gesagt, das sind nur Nuancen, Hauptsache blieb die klangsatte und klar strukturierte Frische vorzüglichen Chorgesangs, zu dem Simon Reichert gleich nebenan an der Chororgel in optimaler Übereinstimmung den Generalbass schlug. Solistisch brachte Reichert, thematisch zum Chor passend, an der Orgel vier Magnificat-Verse im zweiten Ton von Matthias Weckmann, den ersten majestätisch-kraftvoll. Der zweite, eigentlich meditative, hielt den Hörer durch rasches Tempo in Spannung. Auch in den weiteren Versen sorgt Reichert für abwechslungsreiche Klangfärbung; sein präzises, verständliches Spiel ist leuchtend und klar. Auch ein „Echo“ von Samuel Scheidt bringt er sehr lebendig und klanglich leuchtend, bestens gestaltet er Bachs Fantasie in G-Dur BWV 572: klar strahlend und elegant die einstimmige Einleitung, quecksilbrig perlend und in virtuosem Ebenmaß. Volle Akkorde fahren dazwischen, dann entfaltet sich ein gravitätisch fortschreitender Teil ungemein spannungsvoll bis zum klanglich herrlichen Schluss. Den Hauptteil des Programms bestreitet indes der Figuralchor. Drei weitere fünf- und sechstimmige Sätze von Heinrich Schütz (SWV 380, 388 und 433) singt ein beeindruckend klar und differenziert, ebenso gefallen der doppelchörige Choral „Das alte Jahr vergangen ist“ von Samuel Scheidt und die Motette „Da Jakob vollendet hatte“ von Hermann Schein. Höhe- und Schlusspunkt: Johann Sebastian Bachs Motette „Fürchte dich nicht“ BWV 228. Sie verschränkt Verse aus dem Propheten Jesaja mit einem Choral von Paul Gerhardt. Dieses hochkomplexe Gebilde klingt immer durchscheinend, die klangliche Balance zwischen dem koloraturenreichen Satz des einen Chors und dem langsam aber eindringlich voranschreitenden Choral im anderen bleibt stets gewahrt. Wie sich beides je für sich entfaltet und doch so vielfältig berührt und durchkreuzt, ist jederzeit nachvollziehbar, da verschwimmt nichts im Ungefähren, hier scheinen die Sänger und Sängerinnen sich allezeit ihrer Sache ganz sicher zu sein. Und so ist der abschließende Applaus in der sehr gut besuchten Stiftskirche verdientermaßen begeistert und herzlich.

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