Neustadt Volkstrauertag mit aktuellen Schreckensbildern

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„Über den Sternen wohnet Gottes Frieden“, sangen gestern 30 kräftige Männerstimmen zu Beginn der Gedenkfeier am Ehrenmal des Hauptfriedhofs. Am Volkstrauertag wird traditionell der Toten der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts gedacht. Gestern allerdings hatten die vielen älteren und jungen Neustadter auch noch ganz andere, aktuelle Schreckensbilder vor Augen.

Die Fallböen von der Haardt flauten für kurze Zeit ab, der Himmel riss auf und leuchtete in leicht verschleiertem Blau, als wollte er das Gedenken in aller Stille nicht stören. Ganz unter dem Eindruck der Anschläge in Paris beschrieb Diakon Claus Kaspar, dass doch jedes Leben Ehrfurcht und Respekt verdiene. Es falle schwer, die Verletzung der Menschenrechte und die Verwundung der Menschlichkeit in Worte zu fassen. Kaspar zitierte den Friedensnobelpreisträger von 1952, den Arzt Albert Schweitzer: „Wo Licht im Menschen ist, scheint es aus ihm heraus“. Dieses Licht sei menschliche Wärme und Ehrfurcht vor dem Leben, die in Paris erschossen und gesprengt worden seien. Wenig später konnte man sich dann fragen: Was soll nun diese leichte, fröhliche Musik am Totensonntag auf dem Friedhof bedeuten? Mit der Szene „Flucht und Integration“ zogen die Jugendgruppen des Theaters in der Kurve und der Theatergruppe Hoffnung die Anwesenden in ihren Bann. Darunter Vertreter der Polizei, der Freiwilligen Feuerwehr, der Bundeswehr und der Kolpingskapelle Hambach. Aus den Lautsprechern dröhnten auf einmal Maschinengewehrsalven, die diese arglose, fröhliche Menschengruppe aus ihrem Alltag riss. Der Schreck durchfuhr die Besucher, und jeder wusste, dass das hier Theater war – woanders aber Wirklichkeit. Die jungen Schauspieler, viele ausländischer Herkunft, wollten aufstehen, wurden aber von anderen ausgelacht, getreten, geschlagen, verhöhnt. Sie konnten dennoch fliehen und schließlich in einem kleinen Boot über das Meer in eine ungewisse Zukunft flüchten. Am Ziel und Schluss des szenischen Spiels wurden sie freundlich aufgenommen, die Kinder konnten wieder spielen, und alle sangen „Die Gedanken sind frei“. Nach einem Trommelwirbel wurde es wieder still. Der Chor sang „Ich hatte einen Kameraden“ – ein Lied, das gestern von manchen Besuchern nachdenklich und voller Erinnerungen mitgesummt wurde. „Wir spüren heute, wie wichtig Frieden ist“, erklärte Bürgermeister Ingo Röthlingshöfer. Er dankte auch Regina Röther, der Kreisverbandsvorsitzenden des Sozialverbands VdK, für das Totengedenken, das sie mit den Worten schloss: „Unser Leben steht in der Hoffnung auf Frieden und Versöhnung.“ Inspiriert von dem guten Ende der Theaterszene rief Röthlingshöfer: „So wollen wir Deutschland: in Frieden, in Gleichheit und freien Gedanken.“ (stgi)

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