Neustadt Unvollendetes in Vollendung

Die jungen Musiker erwiesen sich beim Auftritt im Saalbau als prächtiger Klangkörper.
Die jungen Musiker erwiesen sich beim Auftritt im Saalbau als prächtiger Klangkörper.

«Neustadt.» Zu einer Demonstration der Stärke geriet der jüngste Auftritt der Jungen Südwestdeutschen Philharmonie (JSWP) am Sonntagabend im Saalbau. Rund 90 junge Nachwuchsmusiker präsentierten unter Leitung von Fritz Burkhardt mit Schuberts 7. und Bruckners 9. Sinfonie zwei „unvollendete“ Meisterwerke der Romantik.

„Die werden immer besser“, war in der Pause als Reaktion auf eine in vielfacher Hinsicht vollendete Präsentation der „Unvollendeten“ zu hören. Sicher, das Orchester formiert sich in jeder Arbeitsphase neu – alte gehen, neue kommen. So ist es eben bei einem Klangkörper, der zu einem großen Teil aus Musikstudenten besteht, darunter auch einige aus der unmittelbaren Region stammend, die aus dem von der Greve-Stiftung gesponserten Konzertereignis ein gut besuchtes Heimspiel für die Neustadter Klassikfreunde machten. Zwei schwere Brocken hatte sich die JSWP diesmal vorgenommen. So treibt selbst eingefleischten Profis schon der Gedanken „Gleich spielen wir die h-Moll“ den kalten Schweiß auf die Stirn. Und das hat weniger etwas mit technischen Dingen zu tun, sondern dahinter steckt vielmehr die Angst, angesichts der dem Werk innewohnenden gewaltigen emotionalen Intensität nicht in Gefühlsduseleien abzugleiten, sondern bei aller Leidenschaft den roten Faden zu bewahren. Dafür sorgt das umsichtige Dirigat von Fritz Burkhardt. Wenige Monate zuvor hat er Schuberts Opus Magnum mit seinem „ensemble 1800“ aufgeführt, nun steht er nicht vor einem Kammermusikensemble, sondern vor einem gewaltigen Orchesterapparat. Ein Vergleich drängt sich auf: Gleich zu Beginn richten sich Augen und Ohren auf die acht ganz hinten positionierten mächtigen Kontrabässe. Sie bieten nicht nur einen imposanten Anblick, sondern die musikalische Steilvorlage für Kommendes. Es ist ein ungemein geschmeidiger, warmer und perfekt synchronisierter Streicherklang, den Geigen, Bratschen und Celli von den Bässen aufnehmen. Er wird wie ein sanfter Wind von Register zu Register getragen und bildet den Klangteppich für den Gesang der Holzbläser, immer wieder unterbrochen von abrupt einsetzenden Temperamentsausbrüchen, wenn sich Streicher und Blechbläser zum Klangorkan vereinen. Zu einer poesievoll Liebeserklärung an das „Schwammerl“, wie seine Freunde Schubert liebevoll nannten, gerät das Andante con moto. Jetzt versteht man, warum sich Franz Schubert weigerte, der erschreckend modernen und visionären Intensität der ersten beiden Sätze ein „banales“ Scherzo und Finale anzufügen. Eine technisch gesehen größere Herausforderung und eine Tour de Force für die jungen Musiker stellte die Neunte von Bruckner dar. Ohne Konkurrenzdruck aufkommen zu lassen: Mit der Wiedergabe von Bruckners Neunter, jenem „dem lieben Gott“ gewidmeten monumentalen Schwanengesang, mit dem der tiefgläubige Katholik zum krönenden Abschluss seines Lebenswerks ausholte, lieferte das JSWP den endgültigen Beweis, dass es sich nicht hinter dem Landesjugendorchester Rheinland-Pfalz zu verstecken braucht. Dass die jungen Leuten mehr als eine aufwühlende einstündige Tremolo-Studie zauberten, ist dem eigenem musikalischen Können und dem ungemein facettenreichen Dirigat von Burkhardt zu verdanken, der mit viel Fantasie und Feingespür für die vielschichtigen Bruckner’schen Seelenwelten ein faszinierendes Klanggebäude nach dem anderen aufbaut, angefangen mit dem monumentalen, mit „Feierlich“ überschriebenen Einleitungssatz, der in der Musikgeschichtsschreibung gerne als Testament eines sich zwischen Genie und Größenwahn bewegenden Komponisten bezeichnet wird. Aber im Alter zwischen 15 und 25 Jahren spart man nicht mit großen Gefühlen, und so nutzt Burkhardt die Chance, im hämmernden Scherzo das Schicksal noch stärker an die Pforte klopfen zu lassen, wie Beethoven in seiner Fünften. Als einen versöhnlichen „Abschied vom Leben“, wie Bruckner kurz vor seinem Tod kommentierte, erscheint der abschließende dritte Satz, in dem das JSWP trotz der vorangegangenen Strapazen noch einmal zur Höchstform aufläuft, um sich gegen Ende in sphärische Regionen aufzulösen. Schon mal zum Vormerken: Die nächste Arbeitsphase steht im Zeichen des Beethoven-Jahres 2020, wenn am Samstag, 4. Januar 2020, unter Leitung von Fritz Burkhardt die Coriolon-Ouvertüre, das 5. Klavierkonzert und die berühmte Fünfte auf dem Programm stehen.

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