Neustadt Pfälzer Kriminal-Geschichte

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Er wühlte sich durch 400 Bände mit Presseberichten, las 350 Seiten Gerichtsprotokolle und verbrachte weitere 400 Stunden mit einem Schwerkriminellen im Lambrechter Waldgebiet: Kaum einer kennt Bernhard Kimmel, den berühmt-berüchtigten Anführer der Kimmelbande der 1950er und 60er Jahre so gut wie Rainer Thielen. In Speyer hat der Studiendirektor aus Rehborn nun seine Recherche vorgestellt.

„Al Capone Bernhard Kimmel - ein Pfälzer Schinderhannes?“ hat Thielen sein Buch über den Kopf der Bande genannt, die für einen Teil der Pfälzer Kriminalgeschichte verantwortlich ist und für dessen Vorwort der bekannte deutsche Schriftsteller Martin Walser einige Zeilen geschrieben hat. Der Zusatz: „Ein Pfälzer Schinderhannes?“ ist bewusst gewählt: Er stellt den Bezug zu Johannes Bückler, dem in Mainz enthaupteten Schinderhannes, dar. Denn der nach insgesamt 31 Jahren Zuchthaus und Gefängnis in Freiheit gesetzte, heute in der Südpfalz lebende Kimmel, hatte über sein Verbrecher-Vorbild in Thielens drei Schinderhannes-Bücher gelesen – und sich daraufhin mit dem Schriftsteller in Verbindung gesetzt.

Kimmel spricht von Fehlern in Polizeiakten

Gemeinsam besichtigten die beiden Tatorte und Kimmel klärte den Studiendirektor über das ein oder andere Geheimnis der Bande auf. Zum Beispiel über die Brechloch und Milchkannen-Verstecke, die Molkerei-Großkannen, in denen die Bande das erbeutete Geld, Schmuck und Waffen versteckte. An der Totenkopfhütte und der Hellerhütte, wo ein Bandenmitglied in der Silvesternacht 1960/61 den Hüttenhelfer Karl Wertz erschoss, habe ihn Kimmel dann auf Fehler in Polizeiakten hingewiesen, berichtet Thielen in Speyer. So wurden Kimmel und seine Freundin nach ihrer Flucht nicht von einem Großaufgebot der Polizei gestellt, sondern stellten sich im Lambrechter Haus von Kimmels Großneffen. Die Bande des 1936 im Schweizerischen Liestal geborenen Bernhard Kimmel sorgte in ganz Deutschland für Gesprächsstoff. Auch in Neustadt und Umgebung waren die Untaten der Bande Stammtisch-Thema Nummer eins. Denn die Bande raubte vorwiegend in der Neustadter Gegend Banken und Kaufhäuser aus und brach in Wohnhäuser ein. In Lachen-Speyerdorf überfielen sie einst ein Munitionsdepot der Franzosen.

Kimmel seit 2003 wieder frei

Nach dem Mord nahe der Hellerhütte flog die Bande schließlich auf. Der Todesschütze erhielt lebenslänglich, vergiftete sich später im Zuchthaus. Kimmel bestrafte man mit 14 Jahren, andere Bandenmitglieder mussten ebenfalls ins Gefängnis. Der Bandenboss wurde nach zwei Dritteln seiner Haft im Juni 1970 entlassen, erzählt Thielen. Elf Jahre später beteiligte sich Kimmel wieder an einem Banküberfall im hessischen Bensheim: Ein Polizist starb dabei, ein anderer erlitt schwere Verletzungen. Der von einer Kugel am Bein getroffene Kimmel kam erst lebenslang in Haft, wurde 2003 aber auf Bewährung entlassen. Die Ironie dabei, so Thielen: Der mit der Fahndung beauftragte Kriminalpolizist aus Ludwigshafen, Dr. Georg Fleischmann, wurde 1963 selbst verhaftet. Er soll zu Kriegszeiten an „Säuberungsaktionen“ im Osten beteiligt gewesen sein ...

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