Neustadt „Kein Sicherheitsrisiko“

Fichtenholz wurde bei den Reisigbündeln im Inneren der Saline verbaut, Lärche wurde für die Konstruktion außen benutzt.
Fichtenholz wurde bei den Reisigbündeln im Inneren der Saline verbaut, Lärche wurde für die Konstruktion außen benutzt.

„Vielleicht ist nicht nur das Arsen hochgefährlich, sondern sogar die ganze Anlage, die auch Besuchern und Kurgästen zum Verhängnis werden könnte“, schrieb Professor Hans-Peter Wilke aus Kaiserslautern jüngst nach einem Spaziergang auf dem Gradierbau und nach der Lektüre über die Entarsenierung des Solewassers. Der Hochschullehrer im Fachbereich Maschinenbau an der Dualen Hochschule Mannheim spricht „von unübersehbaren Schäden im Holz fast aller senkrechten Stützen und Balken“, die seiner Meinung nach von „unten bis oben gerissen“ sind. „Als langjähriger Sicherheitsingenieur muss man dabei erhebliche Schadensfälle befürchten und sich wundern, dass dem Eigentümer der Anlage das nicht schon längst aufgefallen ist“, heißt es weiter in seiner Email. Und er empfiehlt, Träger zu bandagieren. Dem Eigentümer der Anlage, der Stadt Bad Dürkheim, sind die Risse – vertikale und horizontale – durchaus bekannt. Aber der städtische Bauamtsleiter Dieter Petry reißt die Augen auf und schüttelt den Kopf. Petry klappt einen gelben Zollstock auf, geht zusammen mit der RHEINPFALZ an vielen der 158 neun Meter hohen Außenstützen aus Lärchenholz entlang. Er stoppt an einem Balken mit drei übereinander versetzten langen Rissen. Er legt das Metermaß an: 1,5 Zentimeter breit öffnet sich das Holz, acht Zentimeter geht es in die Tiefe des 26 mal 26 Zentimeter dicken Pfostens. Das lässt sich bei etlichen Balken wiederholen, aber keineswegs bei jedem. Zwischen gerissenen Ständern stehen immer wieder völlig intakte. „Schauen Sie, der hier steht wie eine Eins“, sagt Petry und lacht. Einer der stärksten Spuren ist unter einem der „Fenster“, der optischen Durchbrüche, zu sehen. Dort klafft ein langer Riss im waagerechten Balken. Aber: „Alles normal“, sagt der Bauamtsleiter. „Holz arbeitet nun mal“. Das Holz am Freiluftinhalatorium ist nicht nur Wind und Wetter ausgesetzt, sondern auch dem Solewasser – der Salzgehalt schwankt zwischen zwei und maximal 18 Prozent. Extreme Bedingungen also, mal werden die Balken quietschnass, dann wieder staubtrocken. Zwei Holzsorten wurden damals beim Wiederaufbau der Saline 2010 für die Konstruktion benutzt: Innen bei den Reisigbündeln Fichte, außen Lärche. Die Lärche stammt aus den Ardennen. „Damals haben wir den Markt leer gekauft“, erinnert sich Petry. Zwei Reihen mit je 79 Lärchenbalken links und rechts des 330 Meter langen Gradierwerks stützen dessen Dach. Das Hauptgewicht des ganzen Bauwerks ruht laut Petry auf der Betonwanne am Boden – sie ist für den Besucher kaum zu sehen. Also absolut kein Grund, sich um die Risse zu sorgen? Oder gar um die Stabilität des Bauwerks? Für Dieter Petry und die Kurstadt heißt die Antwort klar: „Nein.“ „Es gibt Risse, aber die sind absolut unbedenklich“, so Petry. „Kein Sicherheitsrisiko“, schreibt die Verwaltung. Gerade weil es ein so außergewöhnlicher Bau ist, schickt die Stadt jährlich einen Sachverständigen aus dem Zimmerhandwerk auf den Gradierbau zur Holzinspektion. Zuletzt war der Experte im vergangenen November oben und habe bestätigt, dass es „keine sicherheitsrelevanten Mängel“ gebe. Eine Pflicht zur Prüfung oder gar eine TÜV-Abnahme gibt es laut Verwaltung nicht. Die Untersuchung, die durchaus mehr als einen Tag dauern könne, kostet jährlich 2800 Euro. Sie ist eine Vorsichtsmaßnahme, auch aus Kostengründen. „Wir wollen ja nicht warten, bis alles zusammenbricht“, meint Petry halb scherzend, wobei davon keineswegs die Rede sein könne. Wenn nötig, könnten rechtzeitig einzelne Balken ersetzt werden. Das aber sei bis jetzt noch nicht der Fall gewesen. Der Lauterer Maschinenbauer Wilke ist mit dieser Antwort keineswegs zufrieden. Für ihn ist ein Riss „der Aufschrei der Materie“ und Bandagen sollten die betroffenen Balken verstärken, wie er jetzt auf Nachfrage erklärte. „Die sind ja nicht irgendein Streichholz“, meint er. Für Petry und den Zimmerer-Experten ist der Gradierbau so sicher wie 2010 beim Aufbau.

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