Über den Kirchturm hinaus Haltet die Ohren offen!

Oliver Jaehn
Oliver Jaehn

Warum der Glocken Klang auch der Klang des Lebens ist und man sich davor nicht verschließen sollte.

„Achtung! Jetzt die Ohren zuhalten!“ Das waren die ersten Worte des Jahres 2023, die sich vier Menschen an Silvester um Mitternacht zuriefen.

Sie waren kurz vorher auf den Kirchturm der Hambacher Pauluskirche gestiegen (nur ausnahmsweise und alles verabredetet!), um von dort mit der wunderbaren Sicht über Neustadt und die Rheinebene das neue Jahr zu begrüßen und darüber den Anblick des Feuerwerks zu genießen. Und dann ging um 0.00 Uhr das Vollgeläut der Kirchenglocken programmgemäß los: zehn Minuten lang.

Gar nicht so einfach

Wenn man, nur durch Lamellen geschützt, direkt bei den Glocken steht, braucht man auf alle Fälle Schutz. Und von den physikalischen Kräften der schwingenden Glocken geriet der ganze Kirchturm in ein leichtes, aber deutlich spürbares Vibrato. „Achtung! Jetzt die Ohren zuhalten!“ Gar nicht so einfach, wenn man gleichzeitig das Bedürfnis hat, sich festhalten zu müssen und ein Sektglas in der Hand hat. Aber die Aussicht war trotzdem überwältigend.

Dann konnte man anstoßen! Ein Erlebnis für alle Sinne. Öfter musste ich an diesen Start ins Jahr 2023 denken.

Nun neigt sich dieses Jahr dem Ende zu. Wie sieht Ihre ganz persönliche Bilanz aus? Was haben Sie in dem vergehenden Jahr gehört, gesehen, entdeckt und erlebt? Was hat Sie froh und dankbar gestimmt? Und was gab es, wo Sie sich lieber nicht nur die Ohren, sondern auch gleich die Augen und alle anderen Sinne zugehalten hätten, weil es sonst kaum auszuhalten war? Wenn es nur immer so leicht wäre! Aber leider werden Probleme ja nicht durch Wegschauen und Ohren-Verschließen gelöst.

Die Zeiten des Lebens

Am 1. Januar 2024 um 0.00 Uhr werden die Glocken über das ganze Land wieder das neue Jahr „einläuten“. Es sind dieselben Glocken, die mit dem Stundenschlag die Zeiten ansagen, die dann übers Jahr hinweg zu Gottesdiensten und zum Beten einladen, die bei Taufen oder Trauungen den Jubel ausdrücken und bei Trauerfeiern unsere Traurigkeit und Fragen. Sie zeigen uns die Zeiten des Lebens an. „Meine Zeit steht in deinen Händen“ ist als Glaubensbekenntnis ja auch an einem Turm der Neustadter Stiftskirche zu lesen.

Wenn es also am 1. Januar um 0.00 Uhr wieder losgeht (und Sie nicht gerade auf einem Kirchturm stehen), halten Sie kurz inne vor dem Anstoßen oder der nächsten Rakete: Öffnen Sie Ihre Sinne für den vollen Klang der Glocken und den Klang des Lebens: mit den hellen und dunklen Tönen, mit dem Klang von Jubel und von Traurigkeit, mit der Sorge um das Leben und mit der Freude über Liebe. Spüren Sie mit all Ihren Sinnen die Botschaft der Glocken: Alle eure Zeit steht in Gottes Händen!

Schlichtes Danke?!

Und wie wäre es, wenn Sie im Klang der Glocken das Jahr mit einem schlichten „Danke!“ beginnen? Ich stelle mir da an Neujahr einen aus Gedanken geformten Klangteppich der Dankbarkeit vor, der uns Kraft und Mut geben kann, den Herausforderungen des neuen Jahres zu begegnen. Und falls Ihnen ein „Danke“ an diesem Tag schwer über die Lippen kommt, dann wächst es vielleicht im Laufe des neuen Jahres heran. Ich wünsche es Ihnen. Zusammen haben wir 366 Tage Zeit, die Ohren offen zu halten, um Gott und Mensch zu begegnen.

Der Autor

Oliver Jaehn, Pfarrer der Paulus-Kirchengemeinde Hambach

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