Neustadt Große Leistung

Neustadt. Ein echtes Kleinod hatte Bezirkskantor Simon Reichert für das Weihnachtskonzert der Neustadter Stiftskantorei am Sonntag in der Stiftskirche ausgewählt: Hugo Distlers eher selten aufgeführte „Weihnachtsgeschichte“. Der Neustadter Chor bot hier eine große Leistung, denn alles wird a capella dargeboten, und erhielt nicht nur für dieses Stück völlig zu Recht lang anhaltenden Beifall.

„Das Volk, so im Finstern wandelt, siehet ein Licht“, beginnt Tenor Michael Mogl, der in den Rezitativen die alte Geschichte erzählt. Tonsicher setzt der Chor mit der ersten Strophe des Liedes „Es ist ein Ros entsprungen“ ein, das sich wie ein roter Faden durch die Weihnachtsgeschichte zieht. Man hört aber nicht die gewohnten harmonischen Klänge. Vielmehr verdichten sich die einzelnen Melodieführungen zu schwebenden Liegetönen und lösen sich über spannungsreiche Dissonanzen mit textreicher Interpretation in wohlgefälligen Schlussakkorden auf. Jede Strophe des Liedes ist in einem eigenständigen Satz vertont, passend zur Textaussage. In die Rezitation selbst sind Parts der Solisten als Engel (Sopran), Maria (Mezzosopran) oder Herodes und Gottvater (Bass) eingeschoben. Auch die Stiftskantorei übernimmt einige Passagen direkt in der Erzählung. So ist beim Rezitativ die Textstelle „Denn er hat große Dinge an mir getan“ mit der dritten Strophe des vorherigen Weihnachtsliedes unterlegt. Dann wieder erzählt der Chor vom „Blümelein so kleine“ mit orientalisch anmutenden Klängen, gefolgt vom Erzählersolo. In polyphonen Chorsätzen sind die Grußworte der Engel „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden“ und der Hirten „Lasset uns gehn gen Bethlehem“ gestaltet. Mit einem eher dissonant beginnenden Satz, fugenartig durchwoben und harmonisch endend mit dem „Amen“, begeistert der Chor im Finale „Also hat Gott die Welt geliebt“. Hilfreich für den Chor sind die kleinen Korrekturen des Evangelisten, der immer wieder einmal vor seinem Soloeinsatz mit der Stimmgabel den Ausgangston kontrolliert, um ein Absinken des Gesamtwerkes zu vermeiden. Auch Dirigent Reichert greift bisweilen tonal ein, aber die Abweichungen sind nur geringfügig, was für einen Laienchor bei einem so komplexen Werk ohne instrumentale Unterstützung beachtlich ist. Schon zuvor bei Bachs Motette „Lobet den Herrn alle Heiden“ entfaltete der Chor ein verzweigtes Geflecht an Melodien mit fugenartigen Einsätzen. Sopran und Alt führen, präzise begleitet von Orgel (Bastian Bohrmann), Cello (Christine Wiegräbe) und Violone (Christian Zincke), die Männerstimmen sicher ins Thema ein. Obgleich der zugrundeliegende Psalm 117 nur aus vier Versen besteht, hat Bach ihn zu einem anspruchsvollen Werk verarbeitet. Jede Textzeile ist als Fuge oder Motette ausgearbeitet, das kunstvolle Halleluja schließt alles ab, wobei es Reichert bald gelingt, nach anfänglichen Tempi-Abweichungen Chor und Instrumentalisten zum stimmigen Gefüge zu vereinen. Nach diesem gelungenen Auftakt gaben die Solisten beim Magnificat von Pachelbel den Ton an. Jede einzelne Aussage dieses Marienlobes hat der Komponist abwechslungsreich vertont. Durch einfühlsame Gestaltung überzeugen die Solisten. Sopranistin Gunta Smirnova mit ihrem weichen und hellen Timbre zieht die Zuhörer ebenso in ihren Bann wie Tenor Michael Mogl. Beispielhaft hervorheben kann man die fein ausgearbeitete Textstelle des „Fecit potentiam“, bei dem der Sopran wie bei einem Orgelchoralvorspiel den verlangsamten Cantus Firmus übernimmt, während die anderen Stimmen selbigen in schnellerem Tempo umspielen. Wie Reichert erklärt, musste man für die vorgesehenen Alt- und Bass-Solisten (Alexandra Rahwohl und Florian Spiess) aus Gesundheits- und Witterungsgründen kurzfristig Ersatz suchen. Die gebürtige Niederländerin Marian Djikhusizen zeigte sich als hervorragende Wahl, die Bass-Partie übernahm der Australier David Greco, der für drei Monate in Köln weilt. Mittelalterlich anmutend, durchzogen von Quart- und Quintparallelen, versetzte die Stiftskantorei die Zuhörer mit Brittens „A Hymn to the Virgin“ in eine andere Klangwelt. Gleichwohl stellt die Komposition aus der Neuzeit, teils in Latein, teils in Englisch gesungen, keinen Bruch im Programm dar. Das weihnachtliche Thema und die Kombination alter Kompositionsstile mit neuen Impulsen bilden die Brücke. Der Chor zeigt bei der Interpretation eine große dynamische Bandbreite mit punktgenauen Einsätzen. Eindrucksvoll die „sphärische Atmosphäre“. Denn die Solisten singen von verschiedenen Standorten im Kirchenraum aus im Wechsel mit der Chorgruppe, bis die Melodien im „Mother es Effacta“ (zur Mutter wurdest du geschaffen) wie in einem Echo verklingen. Nach dem Distler-Werk bildeten schließlich die Praetorius-Vertonungen des Chorals „Es ist ein Ros entsprungen“ und „Quem Pastores laudavere“, kurz „Quempas“ genannt, den passenden Abschluss und Ruhepol. Beim „Quempas“ verteilen sich die Solisten im Kirchenschiff und singen nacheinander die vier Zeilen des Vorsängerverses. Jeweils anschließend setzt der Chor, begleitet von den Instrumenten, mit den Tutti-Strophen, insgesamt vier, ein. Nach diesem gewaltigen Klangerlebnis spenden die etwa 180 Zuhörer lang anhaltenden Applaus für die Leistung der Akteure.

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